Rezension
Sidonia Gall
Aus den Kulissen
Edition lex liszt 12, Oberwart, 2022, 217 Seiten
ISBN 978-3-99016-199-9
Wir kennen Sidonia Galls Lyrik, wir kennen ihre Erzählungen. Und nun liegt ihr Roman vor uns. Was alle ihre literarischen Formen verbindet ist ihre exquisite, unverwechselbare Sprache, ob sie beschreibt, berichtet oder erzählt. Ihre Stärke, vielleicht auch ihre geistige Leidenschaft ist das Analysieren, das gedankliche und psychologische Durchdringen ihrer Umwelt, ihrer Mitwelt. Es sind die Tiefenschichten der Seele, um die es geht. So erleben wir Elena, die Hauptfigur des Romans als Beobachterin und Deuterin all jener, die aus den Kulissen, aus dem Dämmer ins Licht der Bühne treten und eine Rolle haben in ihrem Leben. So meistert sie das Geschehen und hält es gleichzeitig auf Abstand.
Elena nennt die Personen der Handlung ihre Figuren. Diese Bezeichnung weist auf die Distanz hin, die auch nötig ist um genau schauen und durchschauen zu können. Die Distanz bleibt gewahrt auch dort wo Sympathie herrscht. Selbst Freundschaft ist nicht ganz frei davon. Elenas Beziehung zu ihrem Ehemann, liebevoll und doch sehr verhalten, sehr besorgt und bemüht um Gleichgewicht ist von seiner Seite durch besondere Symbole der Distanz charakterisiert. Seine wissenschaftliche Arbeit, in der er vollständig versinkt, gilt nämlich den Sternen, den fernsten Phänomenen und Galaxien.
Die Kommunikation der handelnden Personen erfolgt zum größten Teil telefonisch und per Email. Dies ist zwar ein Zug der Zeit, aber auch ein Syndrom des ‚sich vom Leib Haltens‘. Elena selbst erleben wir im Spiegel ihrer Figuren. Denn sie muss mitspielen.
Wir lernen ihre Mitarbeiter kennen und damit das komplizierte Geflecht des Berufslebens. Jeder greift auf seine Weise störend und verstörend in ihr Leben ein. Wir lernen auch 2 ihrer Freundinnen von gegensätzlichen Charakteren kennen. Aber Distanz und Diskretion werden immer gewahrt und gelten auch gegenüber ihrem eigenen Gefühlsleben. Manchmal führt die Handlung an den Rand eines möglichen heftigen emotionalen Geschehens heran, aber es bleibt nur die Ahnung eines solchen.
Sidonia Gall entwirft das Bild einer starken Frau in der modernen Berufswelt. Hohes Pflicht- und Verantwortungsgefühl prägen Elenas Leben nicht nur im Beruf. Sie arbeitet am Rand der Erschöpfung mit wenigen, bewusst zelebrierten Ruhepausen. Die Wörter Genuss und genießen wiederholen sich oft, als Wunschbilder, die nur selten Erfüllung finden. Die Arbeit wirkt manchmal auch wie Selbstschutz vor den Zumutungen des Lebens. Ein Zurückweichen vor den Ansprüchen, die zu zahlreich an sie gestellt werden. Glück? Augenblicke der Zufriedenheit. Und selbst diese sind das Ergebnis eigener psychischer Fähigkeit.
Sidonia Gall hat einen fein durchpsychologisierten Roman von leiser, intensiver Dramatik geschrieben, über das Leben und seine Grenzen des Möglichen. Der Schmerz über diese Grenzen kommt nicht direkt zu Wort. Aber der Lesende fühlt ihn umso tiefer.
Elizabeth Schawerda