Rezension
Heidelore Raab
Behutsam zärtlich
Haiku, 116 Seiten
Eigenverlag Heidelore Raab, Zeller Str. 37, A-4284 Tragwein
(keine ISBN)
Mit BEHUTSAM ZÄRTLICH legt eine Autorin einen Band Haiku vor, die auf diesem Gebiet eine beachtliche Erfahrung vorzuweisen hat. Unter Heidelore Raabs Publikationsliste fallen die fast dreißig Haiku-Bücher auf, die bei St. Georgs Presse erschienen sind. Der vorliegende Band knüpft an diese Tradition an und bietet auf etwa fünfzig Seiten (weil die linken Seiten nicht bedruckt sind) Haiku, deren Anzahl allerdings wieder verdreifacht werden muss, weil jede Seite gleich drei dieser japanischen Lyrik-Kurzformen enthält.
»Schmelzbäche reißen/aus eisiger Klammer –/zerrissene Stille« (S. 19) heißt es da etwa, »Morgenstimmung(in den Nockbergen –––/Sommergäste grasen« (S. 67) oder »Unaufhaltsamer Regen,/uferloses Fließen/ans Meer, ans Meer« (S. 97). Wie an diesen Beispielen zu sehen ist, hält sich die Autorin in vielen Gedichten an die in der japanischen Urform vorgesehenen siebzehn Silben, aber eben nicht immer, was wohl auch der Andersartigkeit der deutschen Sprache geschuldet ist.
Das fest gebundene Buch enthält ein Vorwort von Rüdiger Jung, das als perfekte Einführung in die Haiku von Heidelore Raab dient. Jung zeigt anhand mehrerer Beispiele aus dem Buch, wie die Gedichte zu lesen sind, was dahintersteckt und auf welche Weise selbst einzelne Wörter hinterfragt werden sollten, ganz so, wie es die japanische Dichtkunst intendiert. Für Haiku-Neulinge scheint mir diese Einleitung ein absolutes Muss.
Haiku haben stets mit Natur zu tun und beziehen sich auf die Jahreszeiten. Das hat Heidelore Raab verinnerlicht, und so befinden wir uns in den meisten Texten in einer Winterlandschaft, im Frühjahrstau, in der Sommersonne oder in einem Herbstwald.
»Moorwiese,/Wollgrasflöckchen,/summende Stille« ist ein Beispiel, gefolgt von »Libellen umschwirren/Tümpel und Moore –/glucksende Stille«. Und dann taucht – überraschend und selten – ein dialektal gefärbtes Haiku auf: »Mittn durch d’Latschn,/dass da Dregg schbritzt –/sie kiat, er låcht«. (S. 71)
An manchen Stellen verlässt Heidelore Raab die Naturimpressionen. So lautet eines der Haiku-Triptychen: »Krankenbett –/sang ihr Weihnachtslieder –/im April«, »Im Telefonbüchlein/Mamas Nummer –/noch immer« und »Morgenwind –––/es schneit/Jasmin«. (S. 55) Man braucht nicht viel Phantasie, um hinter diese Zeilen zu blicken, Krankheit und den unvermeidlichen Tod zu spüren; all das wird in die Frühjahrsblüte und womöglich sogar kontrapunktisch in die Blütezeit des Winterjasmins eingebettet, Sinnbild für Vergängnis und Entstehung.
Dieser Lyrikband wurde von der Autorin im Eigenverlag herausgegeben. Ohne eine vorhandene ISBN ist das Buch im Handel eher schwierig zu bekommen. Heißer Tipp für Bestellungen: Man wende sich direkt an die Autorin …
Klaus Ebner