Rezension
Christl Greller
berichte von der innenfront
Gedichte. Mit Grafiken von Traute Molik-Riemer.
Ed. lex liszt 12, Oberwart 2022, 111 Seiten
ISBN 978-3-99016-224-8
Assonanzen, Anakoluthe, Alliterationen und aufgetrennte Satzgebilde dominieren die Sprache dieses empfehlenswerten Lyrikbands. Fast alle Gedichte werden syntaktisch über die eigenwillige Verwendung der Konjunktion „und“ wie durch Webfäden miteinander verbunden. Das verbindende Wörtchen knüpft an Ellipsen an und trägt sie zu neuen Ansätzen hin, dient dann wieder als Füllwort und wird sogar mal als Klangkörper für lautes Brausen in Großbuchstaben gedruckt: „… brausen der thermik, die/ feuer antreibt UND dadurch entsteht …“ (entzündung, S. 68).
Einzelne Gedichte berühren besonders, wie jenes über den Umgang mit Außenseitern in der modernen Berufswelt: „ hab nicht gewusst, dass der tod./ und kann er schon da sein, wenn/ jemand noch lebt/ und umgeht,/atmet, isst./ dennoch lebt nicht mehr,/ trotz dem./ und kann man nicht abschied nehmen,/ weil noch da./ dead man, walking.“ (dead man, walking, S. 76)
Aus noch zarteren Bildern und Tönen, deren Stakkato an Haikus erinnert, webt Christl Greller lyrische Teppiche. Dann wieder von Tonsilben verzaubert, gewinnt man den Eindruck, ein Instrument erklingen zu hören. Man fragt sich, welches es sein kann. Und tatsächlich wird dieser Eindruck bestätigt: Es sind die Saiten der Koto, die in den Vokalen der Autorin schwingen, erfährt man: „… als zupfe an den schaumkronen/ die koto …“ (music for zen-meditation II, S.56) und es ist das Stakkato der Rohrflöte, das dem prägnanten, vorwärts drängenden Rhythmus ihres Sprachduktus unterlegt ist, als würde sie die Silben zählen, wenn sie redigierend verknappt: „… bambusflöte und hohl klingt in sanften tönen …“ (in sanften tönen, S. 56). Themen des flüchtigen Augenblicks, der Vergänglichkeit, ziehen sich wie windbewegte Nebelfetzen durch das federleichte Büchlein, und doch reichen die meisten Texte über den Charakter von Naturstudien hinaus und finden in überraschenden, aber auch kritischen Pointen den Abschluss, wie am Ende ihres letzten Beitrags, einem zu Frühlingsbeginn gerade noch rechtzeitig ins Buch gerutschten Ukrainekriegsgedicht: „… muss man ihm gleich zeigen,/ wo hingehört, wer/ der herr ist./ hingeschlagen, bis kapiert./ wie unter brüdern üblich./ modell: kain und abel/zitat: krieg läuft nach plan.“ (sondereinsatz, S.111)
Man glaubt in einem Gedichtband des Japonismus angekommen und doch bleiben die Worte nicht in schematischen Versstrukturen verfangen, die Silbenzahlen takten unregelmäßig und die Strophen zählen ihre Zeilen unorthodox. In flüchtigen Andeutungen von Bildern dringt sachte die Reife langer Erfahrung der Autorin als Lyrikerin an die Oberfläche, sie schätzt japanische Literatur: Die monochromen Grafiken von Traute Molik-Riemer ähneln Abschnitten von Schriftrollen, ein Däumelinchen (wundersames erbe, S. 97) erinnert an das älteste japanische Märchen vom Bambussammler, Frauenklagen und die Vorgangsweise der Autorin, Zeilen eines Schillergedichtes zu übernehmen, in ihren Text einzuweben und weiterzutreiben, erinnern an lyrisches Wechselspiel in den Kopfkissenbücher der kaiserlichen Hofdamen und die Mondgedichte mit dem Hasen im Zentrum zitieren ein Monogatari und die Vorstellung der Japaner vom Hasen/Mann im Mond.
Und dennoch wird der japanische Einfluss in Zeiten beliebten Mochi-Konsums durch wienerische Eigenständigkeit überwunden, wenn etwa die Autorin den Mond umkehren lässt, damit sein Licht ausfließt und sein kleines Herz sichtbar wird (verse von meinem mond, S. 44). Der engagierten Autorin bleibt zu wünschen übrig, dass ihr Gedichtband ins Japanische übersetzt wird! Sie wäre dort nicht der erste österreichische Bestseller, in dem „… jedes Wort/ von einem Hof umgeben ist/ wie der Mond …“ (lichtflug, S. 43)
Wolfgang Kauer