Rezension
Peter Paul Wiplinger
Blian und Vablian
Dialektgedichte.
Korrektur Verlag – P.E.N. Austria, Wien 2022, 210 Seiten
ISBN 978-3-9505341-1-5
„Blian und Vablian“ – damit hat mich der honorable Peter Paul Wiplinger lausbubenartig auf die falsche Fährte gelockt: zwei biblische Gestalten, die möglicherweise in den Apokryphen zu finden sind, oder zwei Figuren aus der französischen Literatur des 15. Jahrhunderts – nichts dergleichen. Es genügt, den Titel halblaut auszusprechen, um zu erkennen, wer nicht auf diese Idee kommt, muss aber auch nicht lange warten. Schon im ersten Gedicht (S. 8), dem titelgebenden, wird das Rätsel gelöst: Es geht ums Blühen und Verblühen, in des Dichters Heimatdialekt, dem Haslacherischen, verfasst. Damit offenbart Peter Paul Wiplinger schon zu Beginn den ganzen Charme und Zauber, die unendliche Fantasie, die dem Dialektalen innewohnt.
Es gibt wenige Zeitgenossen, die diese Kunst der Dialektdichtung betreiben, und zwar dergestalt, dass das Werk auch Substanz hat und sich nicht im Humor erschöpft. Das ist dem H. C. Artmann gelungen zum Beispiel, auch Gerhard Rühm, Christine Nöstlinger, Rolf Schwendter, Manfred Chobot, Willi Resetarits, Gerhard Kofler oder Günter Brödl gehören genannt. Die Liste reicht bis zu Rudolf Kraus oder Karl Stirner mit seinen „73“ Vierzeilern, den ich in dieser Reihe nicht unerwähnt lassen möchte.
Dass Peter Paul Wiplinger sein Handwerk beherrscht, muss man nicht erwähnen. Was jedoch erstaunt, ist die Leichtigkeit und Verspieltheit, mit der dieser Grandseigneur der deutschsprachigen Gegenwartsdichtung hier ans Werk geht. Wüsste man nicht, dass Wiplinger das Dialektale als publizierbares Arbeitsmaterial erst vor gar nicht allzu langer Zeit für sich entdeckt hat, man würde glauben, er hätte nie etwas anderes geschrieben. Die Lektüre vermittelt den Eindruck, er habe nun seine allerletzten Zwänge abgelegt und könne nun frei sprechen. Die Verschriftlichung des in Haslach gesprochenen Dialekts gelingt Wiplinger aufs Trefflichste, er versteht es, mit dem Hörbaren zu malen: Mit wenigen Pinselstrichen zaubert Wiplinger authentische Figuren und lebendige Landschaftsmotive ins Herz der Lesenden.
Schon das erste Gedicht verrät, worauf es dem Verfasser ankommt: „Und oiss hot oamoi a End: / mog sei so oda so; owa / so is’s hoid im Lebm, / des endt jo a mit’n Tod.“ Unaufgeregt, mit spielerischer Leichtigkeit nähert sich Wiplinger den großen Themen, die sich einem nachdenklichen Menschen, der sich sein Lebtag entschieden für die Entrechteten, für die verfolgten Standeskollegeninnen und -kollegen eingesetzt hat, eben stellen. Und so verweist Wiplinger auf eine gewisse Spernbauer Minni (S. 59): „Da Hitler is a Vabrecha soi’s domois / mittn af’m Moaktplotz gschrian hobm. / Und donn woar’s auf oamoi vaschwundn.“ Nun kann man davon ausgehen, dass besagte Dame keine Berühmtheit in Haslach, Wiplingers Geburtsort, war. Man kann weiters annehmen, dass über die Frau, die laut dem Gedicht wegen des Vorfalls ins KZ Mauthausen verschleppt wurde, die Internierung überlebt hat und hernach am Bau gearbeitet hat, kaum jemand ein Wort geschrieben hat. „Nur daß de Hitler-Gschicht / ihr fost den Kopf kost hot, / des hot ma gwißt, mehr ned.“ – Mit diesen Zeilen verewigt der Autor einen aufrechten Menschen mit Zivilcourage für die Ewigkeit und sorgt dafür, dass der Spernbauer Minni ein klein wenig Gerechtigkeit widerfährt, hebt sie aus dem moralinsauren Morast des Verdrängens auf einen kleinen Sockel für die Nachwelt.
Zum größten Teil stammen die Gedichte aus den vergangenen Jahren. In ihnen nimmt uns Peter Paul Wiplinger mit auf eine Zeitreise, die 87 Jahre umfasst. In erzählender Lyrik beschenkt uns der Urheber mit kleinen Filmchen aus seinem reichen Erinnerungsschatz. Alltagsbeobachtungen, Stillleben, Natureindrücke sowie Liebschaften, Gefühlsregungen oder die kleinen Konflikte sind es, die den Autor beschäftigen. Man hört die Menschen sprechen, man sieht die Leute, denen er ein literarisches Denkmal setzt – es gibt eine Reihe von Gedichten, die verblichenen Familienmitgliedern und engen Lebensbegleiterinnen und -begleitern gewidmet ist –, man riecht den Hollunder (S. 142) und blättert durch das reichhaltige Leben eines durch und durch Dichter gewordenen Menschen, der hin und wieder auch über sich selbst lachen kann („Nua a Frog“, S. 124). Wiplinger verzichtet gänzlich auf Pathetik oder unnötigen Schmuck, beschönigt nichts und behält sich stets die Bescheidenheit vor, auf jegliche Wertung zu verzichten.
Peter Paul Wiplinger äußerte vor Jahren seine ernsthaften Sorgen, die ihm der Verlust der Dialektik in der öffentlichen Debatte bereite. Der dialektische Diskurs sei bestimmt durch die Bereitschaft, die Sichtweise des Gegenübers einzunehmen, bevor man ein Gegenargument schmiedet. Diese Geisteshaltung zieht sich auch wie ein roter Faden durch „Blian und Vablian“, denn die Welt ist nicht nur schwarz-weiß, gut oder böse: Peter Paul Wiplingers Charaktere sind ebenso voll von Widersprüchen und Unzulänglichkeiten wie alle Menschen. Es gibt genauso wenig schönzureden, wie es zu Verherrlichendes gibt. Diese Einsicht spendet ein wenig Trost, lässt jedoch auch das Schwinden der Zuversicht anklingen, das mit der Lebenszeit unweigerlich zunimmt.
Letztendlich bleibt mir noch, dem verdienstvollen Helmuth A. Niederle zu danken, der Peter Paul Wiplinger, wie dieser höchstselbst in einer Vorbemerkung erwähnt, dazu überreden konnte, das vorliegende Werk zu beginnen und vollenden. Hier drängt sich dennoch eine letzte Frage auf: Wieso hat man keine zwei eigenständigen Bände gemacht? Eine eigene Auswahl der jüngsten Werke sowie eine Zusammenstellung älterer Gedichte hätte sich dafür geradezu angebiedert. Aber ein echter Wiplinger biedert sich eben nicht an. Und vielleicht ist er ja noch einmal auf den Geschmack gekommen.
Armin Baumgartner