Rezension
Isabella Feimer
Cadavre exquis
Erzählung
Zeichnungen von Isabella Feimer. Illustratorische Transformationen von Manfred Poor. Betrachtung von Martin Plattner.
Literaturedition Niederösterreich, St. Pölten, 2021
ISBN 978-3-902717-64-1
Vorsicht! Das Buch könnte Arbeit machen, Angst einflößen, affirmativ wirken ohne dies am Ende erklären zu können. Deshalb zur Grundierung des Seelenkostüms sich vorab mit Leonora Carrington (geboren am 6.4.1917 in England, gestorben am 25.5.2011 in Mexiko-Stadt) beschäftigen! Sie war eine britisch-mexikanische surrealistische Künstlerin, die als Malerin, Bildhauerin und Dramatikerin tätig war, wie auf Wikipedia zu lesen ist. Das Wissen, dass sie 1938 an der legendären „Exposition International du Surréalisme“ in Paris teilgenommen hatte und kurz mit Max Ernst zusammengelebt hatte, reicht buchstäblich nicht aus, um mit der Lektüre von „Cadavre exquis“ zu beginnen. Je gründlicher man vorab sich recherchierend durchackert, desto gewinnbringender ist danach die „gruselige“ Leselust !
Isabella Feimer hat ihre Erzählung an Leben und Werk von Leonora Carrington angelehnt und mit dem Fotografen Manfred Poor einen literarischen Bildband geschaffen, der in dieser Brillanz wohl nur in der Literaturedition Niederösterreich hatte verwirklicht werden können. Für ein qualitätvoll gestaltetes Buch, das Text und Illustrationen gebührend zur Geltung kommen lässt, muss Geld in die Hand genommen werden, ohne Wenn und Aber. Das zahlt sich dann jedoch aus, in jeder Hinsicht!
So wie es sich auszahlt zumindest „Das Haus der Angst“, die surrealen Kurzgeschichten von Leonora Carrington gelesen zu haben. Dann aber muss man endlich bei „Cadavre exquis“ von Isabella Feimer einsteigen, dieser ebenso surrealen Erzählung, deren Grundlage Carringtons Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik während des 2. Weltkriegs ist. Die Autorin versetzt sich in die existenzbedrohende, höchst traumatisierende Lage Carringstons und schafft gleichzeitig neue Traumbilder, Trugbilder und Hoffnungsbilder, die heutige Leser in den Bann ziehen. Das ist nicht Nachschöpfung, sondern Neuschöpfung! Für Leser und Leserinnen wird „Cadavre
exquis“ zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle und die kongenialen Fotokreationen von
Manfred Poor zu den Zeichnungen der Autorin befeuern die Sehnerven.
Beruhigung tritt erst wieder ein, wenn man erschöpft zur Nachbetrachtung von Martin
Plattner gelangt, sich diese als erklärende Lektüre zum Runterkommen reinzieht, und
dann das Buch zuklappt.
Die Conclusio steht auf der Rückseite der Buchhülle: „Sie müssen näher kommen,
näher, müssen sich ganz nah an mein Herz lehnen, schauen Sie, mein Brustkorb ist
offen, aufgeschnitten. Bitte lehnen Sie sich hinein. Oder haben Sie Angst, sich
schmutzig zu machen?“
Die Leserschaft halte sich vor Augen, dass sie es ist, die „die vorzügliche Leiche“ wie
ein Blatt Papier faltet und gestaltet, in einem zufälligen, durchaus gleichzeitig
verstörenden und freudvollen Akt der Lebenslust.
Doris Kloimstein