Rezension
Mechthild Podzeit-Lütjen
darhöhung. elmsfeuer
wir zwischen du und ich
edition lex liszt 2022, 230 Seiten
ISBN 978-3-99016-230-9
Einmal muss schluss sein mit utopien / Denn / Die erfahrung des mangels ist der tiefere / Grund grund für alle anfänge in der literatur / Um eine gegenwirklichkeit zu schaffen, heißt es in Podzeit-Lütjens Gedicht Glaubensbesoffene putzigkeit oder BLAU (46). In diesem Lyrikband führt die Erfahrung des Mangels zur Fülle der Literatur. Auf 225 Seiten wird ein breites Themenspektrum behandelt. Zähne und Dinge bilden den Anfang: Da formen die Zähne ein Wort immer / Gemeinsam mit Zunge und Atem (19).
Im Zentrum stehen fortan menschliche Bindungen, das Du, das Ich und der große ambivalente Raum dazwischen, der zwischen Zuspruch und Abweisung changiert, emotionaler Nähe und schwer zu überbrückender Distanz. Manche Gedichte erzeugen große Nähe, wie etwa das eingangs genannte Glaubensbesoffene putzigkeit oder BLAU, und das Gedicht Ein Teil tanzt, ein Teil stirbt oder Tiawen (Fragen an den Himmel) mit Al-Amal (Hoffnung), das eindrücklich und zart von Schneeflocken und dem verstorbenen Vater erzählt (S. 144). Andere Gedichte wiederum, wie wolf.gang (S. 35), verschließen sich beim Lesen, bleiben unnahbarer, fern. Auch der Glaube spielt, wie der Titel des Bands bereits verrät, hier eine bedeutende Rolle, drängt sich in den Gedichten allerdings nicht auf.
Formal sind die Gedichte von Varianz geprägt, ein weiteres charakteristisches Merkmal bilden die verwendeten Zitate von literarischen Größen wie Hölderlin, Celan oder Christa Wolf, die immer wieder in die Lyrik eingewoben sind, aber nicht wie Fremdkörper wirken, sondern sich nahtlos einfügen.
Begleitet werden die Gedichte von stimmungsvollen Bildern von Werner Lütjen, dem Vater der Autorin. Auch ein Stickbild der Mutter, Ruth Lütjen, bereichert den Band.
Bei einem Elmsfeuer besteht unmittelbare Blitzgefahr. Der Tod hält sich beständig im Hintergrund auf, aber auch die Liebe lauert, kann zu Verletzungen führen. Dazu kommt in diesem Band der Topos vom Leiden als Grundlage der Kunst oder Literatur zur Sprache, der Glaube, dass Kreativität aus Mangel entsteht. Dieser Glaube mag manchen überholt und überzogen erscheinen, und doch enthält er noch heute für viele Künstler*innen einen wahren Kern. Rilkes Satz „Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand“ hat nicht an Kraft verloren. Notwendigkeit – und Können, sollte hier ergänzt werden. Beides ist in diesem Gedichtband gegeben.
Angelika Stallhofer (2024)