Rezension
Elisabeth M. Jursa
Das Leben webt sich
der wolf verlag 2024, 96 Seiten
ISBN 978-3-903354-53-1
Die kleinen Dinge wahrnehmen
Elisabeth M. Jursas Lyrikband Das Leben webt sich spricht von den kleinen Dingen des Lebens, von Beobachtungen in der Natur, im Alltag und im Zwischenmenschlichen. Dementsprechend heißt es in ihrem Gedicht Kosmos so treffend: »die kleinen Dinge wahrnehmen / mit all ihren Facetten / Schönheit Spannung / den Einklang die Täuschung / Unruhe Stille / die Schwere das Leichte // (…)« (S. 48). Die Autorin weicht nicht vor Gegensätzlichem zurück, wobei sie oft nur andeutet und Leser*innen dazu bringt, das Gelesene oder Gehörte entweder zu reflektieren oder ihm nachzuspüren: »mein Schweigen / ist Frage / ist Antwort / ist Zweifel« (S. 74).
Geboren wurde Elisabeth M. Jursa in Graz, wo sie auch heute lebt und schreibt, nach jahrelangen Aufenthalten in asiatischen und afrikanischen Ländern sowie in Bosnien. Sie schreibt Lyrik und Kurzprosa und erhielt mehrere Literaturpreise. Jursa veröffentlichte in Literaturzeitschriften und Anthologien sowie bisher sechs Bücher.
Die Gedichte in Das Leben webt sich sind in freien Rhythmen gehalten. Die Zeichensetzung reduziert sich auf Fragezeichen, wobei die Verseinteilung für die Strukturierung der Sätze sorgt; sie gestaltet einerseits den Lesefluss in angenehmer Weise und hebt andererseits bestimmte Wörter oder Phrasen hervor, wobei durchaus auch Enjambements entstehen. Die meisten Gedichte sind eher kurz gehalten und gehen nicht über eine Seite hinaus, nur ein einziger Text reicht über drei Seiten.
Insbesondere Jursas Naturbeobachtungen strahlen eine gewisse Stille aus, die auf die Leser*innen überspringt. So etwa in Neumond:
unsichtbar
und doch an seinem Platz
wacht über uns
überlässt das Funkeln
den Sternen (S. 89)
Der programmatische Buchtitel verrät bereits, dass diese vielen kleinen Dinge des Lebens in irgendeiner Weise zusammengehören. Egal, worum es sich handelt: ästhetische Impressionen in der Natur, banale Alltagsereignisse, große Emotionen, Irrungen, Zufriedenheit und Störung, und die permanenten Veränderungen unseres Seins – all das bildet den Stoff des Lebens. Genau so deklariert Elisabeth M. Jursa es schon im ersten Gedicht des Bandes mit dem Titel Leben:
eines ans andere genäht
mit Mustern überlappt
was gestern gültig war
kann morgen anders sein
die Gegenwart ist unser Stoff
das Leben webt sich (S. 5)
Reflexionen über das Leben und über das eigene Sein, eingebettet in eine bunte und für menschliches Empfinden unendliche Welt, vermittelt die Autorin in ich bin. Nachfolgend die erste Strophe dieses Gedichts:
ich bin
noch nie mit dem Wind geflogen
noch nie über Wasser gegangen
aber gegen den Strom geschwommen (S. 9)
ich bin ist durchdrungen von leisen Anspielungen, wie etwa neutestamentlich auf »über Wasser gegangen«. Es geht weiter mit naturwissenschaftlichen Anlehnungen, die aber stets philosophisch werden, wie etwa »der Gedanke der bis ins Weltall reicht« oder dann das ästhetische Bild vom »Licht der hellsten Sonne«. Die beiden abschließenden Verse »aus Wasser geboren / bin ich« enthalten nicht nur die evolutionäre Realität, sondern sie schließen den Kreis zur oben genannten biblischen Anspielung und insinuieren die Nachgiebigkeit, die Ubiquität und das Quicke von Wasser. Denn Wasser ist nicht nur Trinken und Reinigung, nicht nur der Ursprung allen irdischen Lebens, sondern das Leben selbst.
Aus allen Gedichten spricht stets ein sehr ruhiger Ton. Sei es im Trauergedicht was übrig bleibt, in dem es heißt: »was letztendlich bleibt / ist der Klang seiner Stimme / das Glänzen seiner Augen / die Bewegung seiner Hände« (S. 30), im möglichen Urlaubsgedicht im Wind mit »die Sonne greift nach dem Wasser / der Tropfen nach dem Ozean« (S. 62) oder in der Naturbetrachtung regenfrisch, dessen erste Strophe lautet: »regenfrisches Grün ruft mich / draußen die Luft so leicht / bin unterwegs / ziellos zeitlos sorglos / Zweige betrachtend« (S. 85).
Elisabeth M. Jursas Lyrikband erschien im Kärntner der wolf verlag. Das Leben webt sich ist hart gebunden und enthält Schwarz-Weiß-Fotos der Autorin. Ein Buch, das zum Innehalten einlädt und den Leser*innen poetische Momentaufnahmen mit auf ihren eigenen Weg gibt.
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