Rezension
Brigitte Pixner
Das Pulsarnetz
Roman.
Verlag Berger 2023, 492 Seiten
ISBN 978-3-99317-061-1
Brigitte Pixner hat einen erstaunlich umfangreichen Roman geschrieben. Noch erstaunlicher ist die Fülle an Fantasie, an Bildern. Ein Labyrinth, ein Dschungel von Szenen, dicht aufeinander folgend, eine sich in die nächste verwandelnd, irritierend, an Mythen und Märchen anklingend, aus vielen Bereichen schöpfend. Man wird schwindlig beim Lesen und sucht nach dem Faden, der durch diese Fluten von fantastischem Geschehen führen könnte. Die Sprache ist üppig, alles ist üppig. Schließlich findet man den Faden in der Gestalt des Reporters der Endtime-Post, Siegfried Kratochwil, der vom Ministerium den Auftrag erhält, über die berüchtigte Forschungsstätte für Fortschritt und Hochleistung, genannt Milchstraßeninstitut, geleitet von Prof. Lorbeer, einen Bericht zu verfassen.
Dieses geheimnisvolle und mit Argwohn betrachtete Institut hat sich das Ziel gesetzt, die Zukunft des Menschen zu verbessern, endlich der Welt die Sporen zu geben und den Griff der Wissenschaft zu festigen. Brigitte Pixners Einfallsreichtum kennt keine Grenzen, auch nicht bezüglich der Namen der Personen und Orte. Darin erinnert sie an Nestroy. Auch an Witz, gekleidet in Skurrilität, und ironischen Anspielungen an politische und gesellschaftliche Situationen herrscht kein Mangel. Spielt die Handlung im Bereich der Staatsbeamten – übrigens heißt der Staat Urbanien und die Hauptstadt Terkala – verwendet die Autorin die Amtssprache, den Beamtenjargon, der auch die ‚Beamtenmentalität‘ illustriert. Außerhalb dieses Bereichs lässt sie ihrem poetischen Temperament freien Lauf. Innerhalb des Milchstraßeninstituts hat alles eine Stimme, die Wände, der Boden, die Bäume und Pflanzen… Ein stetes Wispern und Raunen ist zu hören, alles scheint lebendig zu sein, obwohl alles künstlich ist, Produkt des genialen Erfinders Lorbeer, zum Leben erwachte Illusion. „Hätte ich je etwas in Sachen Literatur geschrieben, hätte ich mich für Sciencefiction entschieden! Nur in ihr lassen sich neue Möglichkeiten der Menschheit aufzeigen, neue Weltmodelle kreieren!“ sagt der Erfinder Lorbeer auf Seite 234, „ein besserer Mensch könnte keiner aus Fleisch und Blut sein, sondern nur ein künstlicher!“ Denn „Adam war eine Alge! … Der Paradies-Mensch, der nach höherer Sicht verlangt, nach der Tiefe der Erkenntnis, der Parade-Mensch also, muss erst geboren werden! … und kein Racheengel wird ihn dann mehr aus Eden vertreiben“ (Seite 100).
Es ist die Welt der Homomaten, Lorbeers Geschöpfe, durch die Kratochwil geführt wird. Mit ihm sind Tests geplant. Auch er soll eines dieser Kunstgeschöpfe, ein Homomat, werden, frei und offen für den Fortschritt. Aber er zögert, eine wohlmeinende Stimme rät zu sofortiger Flucht. Doch nach missglückten Fluchtversuchen wird ihm die Einwilligung zur Transformation abgerungen und ein Schrittmacher in sein Hirn eingepflanzt. Lorbeer schafft sich auf diese Weise seinen Nachfolger, der zwitterhaft das Menschenhafte und Maschinenhafte vereint. Alle Erfahrungen Lorbeers sind gebündelt im Gehirnimplantat. Allerdings soll Kratochwil nur ein Nachfolger auf Zeit sein, während Lorbeer sich in der Revitalisierungszone erholt.
Das sehr spannend und dramatisch geschilderte Ende des Romans ist keinesfalls ein versöhnliches, sondern ein sehr bedenkliches, bedrohliches. Denn Lorbeers Ziel ist nicht der Fortschritt des Menschen, sondern dessen Vernichtung zugunsten der eigenen absoluten Macht. Ist die nahende Katastrophe nicht zu erkennen oder will man sie nicht sehen? Die „Behaglichkeitstrance der Bewohner von Terkala“ ist nicht zu erschüttern. Alle Ermahnungen vor der Vereinnahmung gehen in schulterzuckende Gleichgültigkeit der Minister, in Ungläubigkeit und Spott unter … Der Mensch hat gründlich ausgedient, an den Pulsarfäden zappelnd wird er dafür mit totaler Lenkungsfürsorge belohnt.
Elisabeth Schawerda (2024)