Rezension
Johannes Diethart
Der Missionar des Todes und weitere skurrile Texte
Kurzgeschichten
Österreichisches Literaturforum, Weißenkirchen 2022, 103 Seiten
ISBN 978-3-902760-21-0
Wollen wir mit einem kleinen Textzitat beginnen, das Neugierde weckt und zudem Johannes Dietharts epische Raffinesse in wenigen Zeilen aufblitzen lässt (es ist der Beginn der Erzählung Es lebe die Kunst): „Eine Putzfrau mittleren Alters mit brünetten Haaren, einem annehmbaren Gesicht und Körperbau sowie einem karierten Kopftuch, fand in einem Saal des Kunsthistorischen Museums in Wien einen Mann ebenfalls mittleren Alters in einem dunklen Anzug, weißem Hemd und dunkler Krawatte, der sich in der Nacht offenbar aufgehängt hatte. Sie erschrak zuerst furchtbar bzw. saumäßig, hielt aber dann die ganz Schose für eine gelungene Installation und ging weiter ihrer gewohnten Tätigkeit als Putzfrau nach.“
In diesen knappen Zeilen offenbart der Autor seine erzählerischen Meriten sowie seinen Hang zu latenter Hintergründigkeit; seine erklärte Liebe zu offensichtlich surrealen Handlungsverknüpfungen und versteckten ironisch-tadelnden Bezügen etwa zur nervenden Endlos-Mode der Kriminalschriftstellerei! Wenn manche Passagen von Dietharts Erzählungen auch anfänglich als „schrill“ erscheinen mögen, so kommt der Leser/ die Leserin bald hinter des Autors Schliche: Unser Mann griff hier zur Bluttinten-Feder, um die ausufernde Manie vieler Autoren (ja, bei den Damen gibt es auch schon solche ‒ leider!), Brutalität und Zynismus auszubreiten, persiflierend in die Schranken zu weisen. Zwei heilsame Ingredienzien nehmen in den Texten des „Missionars“ mit Fahrt auf: Eine stets überraschende Fantasie, die zwischen Wirklichkeit und Fiktion vagabundiert und den verunsicherten Lese-Konsumenten eine Pinocchionase deutet sowie die vielen erfrischenden Dialekteinschübe aus heimischen Mundarten, von denen, so steht zu hoffen!, nicht wenige durch Dietharts Liebe zu Dialekten wieder festere Verankerung gewinnen könnten. Als Spiegel von Dietharts Lebensetappen finden sich in seinen Erzählungen vor allem steirische und ostösterreichische Ausdrücke. Der Autor wurde in der Obersteiermark geboren und fand seinen späteren Lebensmittelpunkt in Ostösterreich, darunter in der unvergleichlichen Wachau, die in seinen Kurzgeschichten auch ihre gebührende Beachtung findet. Diethart ist überdies ein Meister der Dialoge ‒ ein Dramolett (Laß mich endlich!) findet sich beispielsweise unter den hier abgedruckten Texten ‒ und der Fähigkeit, seinen Geschichten in zwingender Atmosphäre abrollen zu lassen und zugleich den Protagonisten Authentizität zu verleihen.
Willkommen in Doktor Dietharts Panoptikum der kleinen, feinen abgründigen Welt!
(Ein Lob gilt es noch auszusprechen für Gunborg Wageneder Covergrafiken der beiden Werke, die dem latenten Leser Lust verschaffen, diese in näheren Augenschein zu nehmen.)
Gottfried Pixner