Rezension
Markus Grundtner
Die Dringlichkeit der Dinge
Edition keiper, Graz, 2022, 230 Seiten
ISBN 978-3-903322-55-4
Liebe und Recht, Lebenslust und Juristerei – wie geht das Match aus, wenn ER Hardcore Jurist und SIE Liebhaberin des Lebens ist? Jedenfalls zehren Juristenjahre mehr aus als Menschenjahre. Dies sieht Klaudia, die Lehrerin für Italienisch und Latein in Wien werden will, im Äußeren des um 10 Jahre jüngeren Mathias. Er steht am Anfang seiner Anwaltskarriere. Beim Ablegen der letzten Monsterprüfungen fällt ihm wieder ein, dass er eigentlich wie sein Vater Polizist werden wollte. Doch gerade sein Vater stellt fest: „Entscheide dich, entweder als Polizist das Recht vor dem Menschen zu schützen oder als Anwalt den Menschen vor dem Recht.“
Und genauso inkompatibel wie diese Berufe sind für Mathias Klaudias Muttersprache Italienisch und ihre Hoffnung in Wien etwas zu bekommen, was noch nie existiert hat: einen neuen Job, eine neue Beziehung, eine neue Familie – ein neues Leben. Mathias erklärt in seinem juristischen Deutsch, dass sie einen Hoffnungskauf mit dem Kauf eines erhofften Gutes verwechselt hat! – Das ist wie viele der juristischen Spitzfindigkeiten ein interessanter Ansatz, der das Buch sprachlich so außergewöhnlich macht.
Beide werden ein Paar, das sich an den großen Differenzen aufzureiben scheint. Vor allem der Wunsch Klaudias mehr Verständnis und Liebe zu bekommen, sowie nicht mehr in Wien bleiben zu wollen, stellt eine große Probe für ihre Beziehung dar. Die weitere Unmöglichkeit ist, die Karriere in einer berühmten Anwaltskanzlei in Wien zu beginnen, wenn Klaudia ihren Kinderwunsch nicht auf die lange Bank schieben will. Sie bekommt sogar Zwillinge, geht zurück in ihr Heimatland Italien, obwohl die Karriere Mathias am Gericht in Wien beginnen soll. Die unlösbaren Gegensätze lösen sich jedoch am Ende durch eine interessante Wende und dem Aufbruch nach Triest als Wohnsitz steht nichts mehr im Wege.
Eine spannende Handlung jedenfalls, in der der Leser/die Leserin nicht nur juristisch Verklausuliertes lernt, sondern auch, wie man am effektivsten streitet und daraus den Gewinn der Zufriedenheit zieht – es gibt keine Verlierer, nur noch Gewinner.
Der Autor selbst ist absolvierter Jurist und arbeitet in der Wiener Staatsoper, hat seinen Hang zur Dramatik und zu effektiven Streitgesprächen vom Arbeitsplatz und dem Studienabschluss in Theater-, Film- und Medienwissenschaft. 1985 geboren, schrieb er vor diesem Debütroman Kurzprosa und bekam 2018 das Startstipendium für Literatur des österreichischen Bundeskanzleramtes.
In Die Dringlichkeit der Dinge zeigt der Autor, dass Romantik und Recht sich doch vertragen und Turbulenzen das paragraphenangereicherte Leben eines Rechtsanwalts nicht nur auf den Kopf stellen, sondern bereichern und mit gutem Willen und Ausdauer auch zu meistern sind.
Er zieht anhand der männlichen Hauptfigur die für juristische Laien ungewöhnliche Sprache bis zum Ende durch und zeigt durch juristische Formatierung für Liebes- und Alltagsprobleme einmal einen anderen Blick auf unsere Gesellschaft.
Eva Riebler