Rezension

Judith Gruber-Rizy

Die schreckliche Stadt K.

Roman

Edition Art Sience, 2020, 198 Seiten

ISBN 978-3-903335-08-0

 

Was macht diese Stadt K. zu einer schrecklichen Stadt? Was ist andererseits doch so anziehend an diesem vom Massentourismus verschonten Badeort auf einer griechischen Halbinsel, dass Rosa, eine 36jährige Österreicherin, unbedingt wieder dorthin reisen will? Zu genau diesem Ort, in dasselbe Hotel, in dem sie vor Jahren ‚das Chaos‘ erlebt hat. Es zieht sie geradezu nach K., obwohl ihre Familie die Reise teils mit Verachtung, teils mit Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen hat. Jetzt ist sie da, liebt es, einsam am Strand liegend, nachts den Mond und zeitig morgens den Sonnenaufgang zu beobachten und dabei mit sich wieder ins Reine zu kommen. Sie ist Journalistin, hat ihren Job verloren und ist unschlüssig, ob sie einen neuen anstreben soll, wobei sie dabei auch ihre Unterwürfigkeit gegenüber Max, ihrem Vater, überdenkt, die sie seit Kindertagen belastet und an der Entwicklung zu einer gefestigten Persönlichkeit behindert hat. Allein sein Mienenspiel vermag sie sogar heute noch zu verunsichern. Sie liebt die Einsamkeit, hat aber dennoch Furcht davor, ganz allein zu sein. Wie erleichtert ist sie daher, als sie einen Herrn bemerkt, der ebenfalls die Einsamkeit zu lieben scheint und sie schon am zweiten Tag von der Ferne her, freundlich lächelnd grüßt. Ab jetzt vergisst Rosa alles. ‚Das Chaos‘, Max, ihren gleichgültigen Lebensgefährten Gerhard daheim und die belastenden Lebensumstände. Der freundliche Herr – man ist einander sehr rasch nähergekommen – ist entgegen Rosas Vermutung kein Grieche aus Saloniki, sondern ein Deutscher chilenischer (!) Abstammung, heißt Luis und entpuppt sich bald als verwandte Seele. Er ist Architekt, schwärmt aber vom Journalismus, sie ist Journalistin und schwärmt von Architektur. Beide sind von dominanten Vätern zum ungeliebten Beruf gezwungen worden, beide sind familiär gebunden und befinden sich in K. auf einem längeren Urlaub, um ‚überdenken zu können‘. Nach gemeinsamen Spaziergängen, nach Kaffee-Frappés in gemütlichen Lokalen mit Meerblick, nach wechselseitigen Sympathiebezeu­gungen mündet die Begegnung folge­richtig in eine beglückende Liebesbeziehung. Da beide aber den wahren Grund ihrer Reise in diese abgelegene Stadt K. nicht preisgegeben haben – nämlich ihre Flucht ­– kommt es zu einem unerwarteten Ende.

Die Autorin, mehrfach preisgekrönte heimische Schriftstellerin, versteht es wunderbar, Rosas ausgedehnte Gedankengänge auszubreiten, deren Ängste, Komplexe und Prägungen behut­sam zu entflechten sowie Zusammenhänge und Abhängigkeiten offenzulegen. Rosa wird als Frau gezeichnet, die nie die Möglichkeit hatte, sich o.k. zu fühlen und sich so anzunehmen, wie sie ist. Erst Luis, der charmante, vermag in ihr für kurze Zeit ein Selbstwertgefühl zu erwecken und den Übervater Max und ihren gleichgültigen Lebensgefährten in ihr abzudecken.

Offen bis zum Ende bleibt hingegen Rosas ständig präsentes ‚Chaos‘ in der Stadt K. Ihre klaustrophobischen Verhaltensformen, fliehende Katzen und nicht zuletzt Luis‘ technisch fundierte Erklärungen über die Ursache von instabilen, schiefen Mauern in K. lassen die Ursache dieses ‚Chaos‘ erahnen, bei welchem Rosas rettende Reaktion erstmals ohne einen Gedanken ‚Was würde Max dazu sagen?‘ erfolgt ist.

Eine meisterhafte Erzählung, voll Spannung und Menschenkenntnis, mit oftmaligem Hin und Her zwischen Rosas Erinnerungen, ihren Imaginationen und der Realität. Aber auch voller Empathie für ein Frau, die, wie viele andere, Opfer eines antiquierten, patriarchalischen Familienverständnisses geworden ist.  

 

Rezensent: Michael Stradal

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