Rezension

Martin G. Petrowsky

Ein Loch im Sand …

Essays und Glossen über das Denken unserer Zeit

Schriftenreihe Bibliotheksinitiativen, Wien 2020, 336 Seiten

ISBN 978-3-902838-42-1 und ISBN 978-3-85273-225-1

 

Für einmal tue ich mir schwer damit, zu einer eigentlichen Eloge unfähig zu sein. Denn sie wäre wohl angebracht angesichts der Fülle der 70 Beiträge aus rund einem Jahrzehnt zu unterschiedlichen kulturellen Inhalten, genauer: Essays - keine Abhandlungen! - mit zur Gattung gehörender, hier bewusst ausgeprägter persönlicher Stellungnahme zum Thema, bei Petrowsky kaum anders in den Glossen, lohnenden Randbemerkungen, weil aus dem in jedem Einzelfall bewahrten Durchblick. Dass ich ebenso eine Abneigung gegen Aufzählungen habe, wird mir allerdings ͵verziehenʹ, indem die Beiträge bereits in eine sachliche Ordnung gebracht wurden: «Das Schreiben ist ͵keine Kunst’?»; «Ärgerliches und Kurioses»; «Recht und Politik»; «Porträts»; «Was darf man glauben?» Der titelgebende Beitrag «Mein Weltbild ist ein Loch im Sand» aus 2002 bildet den Beginn des letzten Teils, er darf sicherlich als mehr wie nur ein Motto denn als grundsätzliche Aussage zu dem ganzen Unternehmen gelten. Darin geht es anhand nicht zuletzt der Rolle der Quantenphysik um die Frage nach den Tatsachen und ihrer Bewertung, im komplexen Richtig-oder-Falsch das Gegenüber von allgemeinem Verständnis und individuellem Begreifen beleuchtend bis hin zur Erkundung einer höheren Wahrheit: zeitgebunden und hochaktuell.

Nun, ich formulierte ͵Unternehmenʹ: ein falscher Begriff für eine kulturell ausgerichtete Textsammlung? Ich denke nicht, beachte ich den beruflichen Werdegang des Autors als jahrzehntelangen Geschäftsführer eines führenden Dienstleistungsbetriebs mit profiliertem Knowhow auf dem Gebiet Zielgruppen-Marketing und customer loyalty program, dem sich die Tätigkeit als scharfsinniger Herausgeber und umfassend aktiver Autor beigesellt(e). Allemal darf für eine solche breite Aufstellung die Familie als Fundament gelten; beiden Eltern widmet er je einen Beitrag. Daraus filtere ich Befähigungen, deren ͵Durchbruchʹ das Buch belegt: über die Mutter, der großen Schriftstellerin, das Bedürfnis sich selbst immer treu zu bleiben (256), was keine Konzession an den Zeitgeist (261) bedingt; beim Vater das Streben nach Präzision (244), darin eingebettet die eingehend prüfende rationale Auseinandersetzung (246).

Indes, viele Beispiele aus der Menschheitsgeschichte zeigen auf, dass ein solches Erbe nicht die gesamte Persönlichkeit umfassen kann. Es muss also Weiteres in der eigenen Entwicklung hinzukommen. Alle Beiträge Petrowskys, ob kurz, ob ausführlich, welcher Thematik auch immer, belegen seinen Willen, sein nicht nachlassendes Interesse ganz konkret am Ball zu bleiben. Basis bleibt eine mustergültige Wachheit in der thematischen Wahrnehmung, die stets den Rekurs auf die eigene lebensphilosophische Sicht beinhaltet. Nicht zuletzt mittels des immer wieder aufgerufenen Blickwinkels ͵Wem könne man vertrauen?ʹ entwickelt Petrowsky einen in der Stringenz der Argumentation nachvollziehbaren Maßstab in dem ethisch-moralischen Orientierungsrahmen seines, nein: des «Weltbilds».

Der ausgeprägte analytische Ansatz - beginnend mit dem zwingenden Bewerten von Alternativen bis hin zum ausdrücklichen nichts ist verstörender als Scheinheiligkeit! (187) - gebiert zweierlei beeindruckende Haltungen: Die eine besteht in einer geradlinigen, nicht nachlassenden Diskussionskultur, der Dialogcharakter bricht immer durch: ob bei der Ausführlichkeit, mit der andere, auch konträr Denkende zu Wort kommen; ob, sich einer bewährten Diskussions-Tugend zu besinnen und eine Definition zu versuchen (329); ob in den stets gemeinverständlich gehaltenen Darstellungen mit nicht ausgesparten, oft überraschenden pointierten Formulierungen, die dezidiert zur Stellungnahme aufrufen. Die zweite ist die Ehrlichkeit, um der intellektuellen Redlichkeit willen (330) mit der eigenen Meinung nicht hinter dem Berg zu halten, eingebettet in das Vorhaben, dem Richtigen zum Durchbruch (333) zu verhelfen. Aus den Haltungen entsteht der Habitus einer, allgemein formuliert, gelebten Verantwortung; in der ͵antwortʹ wird (ihm) entscheidend nicht, was Sinn macht, sondern was weshalb und namentlich was wie Sinn macht.

Zwei Aspekte dürften für ein Mitglied des Österreichischen Schriftsteller/innenverbands besonders prägnant wirken: ▪ Petrowskys Liebe zu allem von Schriftstellern Verfassten, in der der humanistische Aspekt Vorrang gewinnt und Respekt erheischt (243). Kein Wunder, konstatiert er wiederkehrend zumindest subkutan die Überlegenheit der Literatur über die Literaturwissenschaft, obwohl der Aspekt der Rezeption keinesfalls ausgespart wird; ▪ im Kapitel «Porträts» besonders bestechend das Vorstellen zumal weiblicher literarischer Persönlichkeiten, bei dem dank ebenso fundierter wie einfühlsamer Darstellung zahlreiche (Neu-)Entdeckungen möglich, ja Anregungen zuhauf geboten werden zum weiter Nachverfolgen … und auch für das eigene Schreiben.

 

Rezensent: Martin Stankowski

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