Rezension
Etela Farkasova
Es ist geschehen
Übersetzt aus dem Slowakischen von Christel Spanik.
Anthea Verlag, Berlin 2022, 148 Seiten
ISBN 978-3-89998-398-2
Wir alle sind umgeben von Tod und Sterben, untrennbar verbunden mit diesem Thema und mit der Allgegenwart von Schmerz, mehr oder weniger verborgenen Leiden und irgendwann real sich ankündendem Tod. Der eigenen Ohnmacht ist einer sich bald bewusst. Im familiären Bereich gibt man sich in solcher Lage gerne bedeckt. Betrifft es Familienangehörige, zeigt man sich stark, optimistisch, notwendiger Weise; meist aber stumm. Das Thema weckt Angst und wird deshalb oft als Tabu betrachtet. Innerhalb literarischer Arbeiten gilt es als mutig, sich diesem Thema zu stellen.
Etela Farkasovas Werk „Es ist geschehen“ gilt als Besonderheit. Die längst auch im deutschen Sprachraum bekannte Philosophin aus Bratislava, vielbewunderte Verfasserin von mehr als 30 anspruchsvollen und doch zugleich gut lesbaren, lebensnahen Werke mitmenschlicher Thematik mit klar dargestellten realen Inhalten ohne Ablenkung auf beschönigende Ebenen, beschreibt im vorliegenden Band Tod und Sterben aus der Perspektive einer Tochter-Mutter-Beziehung und erzählt in berührender Ichform, mit der sich der Leser gut ansprechen und auch erreichen lässt. Dieses Thema geht jeden an, niemand ist unempfindlich gegen den Tod, der uns alle betrifft.
Innerhalb einer mehrköpfigen Familie und eines äußerst anspruchsvollen Berufs versorgt die Protagonistin ihre todkranke Mutter, pflegt sie liebevoll und versucht auch deren innerer Welt möglichst nahe zu sein, ihre Erinnerungen und Gedanken zu verstehen und bleibt so lebenslang innig mit ihr verbunden. Im Gespräch durchwandern die beiden viele Jahrzehnte. Dennoch erfährt die Tochter immer noch Neues, während sie für die Leidende sorgt, sie umfassend pflegt und mit der nötigen Nahrung versorgt, schwierige Hilfsdienste verrichtet, mitfühlt, mitleidet und zwischendurch in kleinen Details, in bewegenden Notizen festhält, immer bemüht um tieferes Verständnis. „Ich muss mir den Tod von der Seele schreiben, wie ich es sonst mit dem Leben tue.“ Ein kleiner Einblick in diese Aufzeichnungen: „Mutters Einsamkeit kann ich heute noch als eine scharfe Klinge nachfühlen.“ Sie selbst hegt Zweifel, “ob ich etwas vom Leben wissen kann, wenn ich nichts von seinem Gegenteil weiß, ja, eigentlich weiß ich nicht einmal, ob der Tod das Gegenteil vom Leben ist, oder ist er nur dessen Ergänzung? Dessen Höhepunkt oder Fortsetzung? Ist er eine Umwandlung des Lebens in eine andere Form, in eine nicht zu benennende, nicht vorstellbare, jedenfalls ungewisse Form?“
Wann immer die Tochter ins Zimmer der Kranken tritt, ihr beim Essen hilft, weil diese das braucht, kehren alte Unsicherheiten zurück, „überrascht mich dieses Weinen, wie wenig weiß ich doch von ihr“. Natürlich will sie die Todkranke jeder nur möglichen medizinischen Hilfe teilhaftig werden lassen. Krankentransporte, Ambulanzen, Spitäler, überfüllte Wartesäle. Die Mutter hat Schmerzen, die Tochter leidet mit ihr. Erschütternde Seelenbilder: „Ich berühre vorsichtig ihren Bauch, als wollte ich in die Zeit zurückkehren, als hier mein Raum, mein Zufluchtsort war, unter der faltigen Haut“. Und weiters:
„Nicht selten beschäftige ich mich vor dem Einschlafen mit der Frage, ob ich wohl den Drang hätte, über ihr Leben zu schreiben, …wenn nicht dieses langsame, geheimnisvoll verhüllte Übergehen vom Sein zum Nichtsein vonstattenginge, eine Wandlung, die zum Bestandteil meines Alltags geworden ist, die mich jedoch auch in einer seltsamen, bisher nie gekannten Weise von ihr entfernt, mich in ein Unbekanntes hinüberträgt, mit dem ich gewissermaßen meine eigene Existenz übersteige.“ Und schließlich: „…dieses fast ekstatische Gefühl der Grenze nahe zu sein, verblasst nur allmählich…“.
Den Leser solcher Zeilen ergreift immer wieder die Dringlichkeit dieser Thematik, die in ähnlichen Situationen ja auch ihm aufgegeben ist oder sein könnte. Denn wir sind alle, wo wir Familie sind, einander nah, eng verbunden und mit Familienaufgaben konfrontiert.
„Philosophieren heißt sterben lernen.“ Etela Farkasova führt mit dem vorliegenden Buch an den bereits anfangs erwähnten Satz heran und lässt ihren Leser auch seine eigenen Aufgaben in Familie und Gesellschaft klarer erkennen. Im Spiegel, den die Philosophin sehr behutsam ihm vor die Augen stellt, wird er vielleicht sich selbst befragen und mit seiner Antwort, wenn er guten Willens ist, auch bestehen.
Rosemarie Schulak