Rezension
Dietmar Grieser
Es muss was Wunderbares sein …
Das Salzkammergut und seine Künstler
Amalthea Signum 2023, 240 Seiten
ISBN 978-3-99050-257-0
Es ist das Los von Sachbuchautorinnen und Sachbuchautoren, dass an ihnen nur die Stoffe interessieren, die sie bearbeiten, nur die Themen, die sie behandeln. Nach ihrer Sprache, nach Stil und Tonlage, die sie wählen, nach der Art und Weise, wie sie Sätze bauen und aus Sätzen einen Text errichten, wird bei ihnen kaum je gefragt; mit welchen Mitteln sie Spannung erzeugen und Neugierde wecken, was sie aussparen und was sie betonen, wo sie sich zurücknehmen und wo sie forcieren, findet nur wenig Beachtung. Wie sehr es aber gerade auch hier, abseits der sogenannten Belletristik, abseits des autonomen sprachlichen Kunstwerks, auf solche Dinge ankommt, zeigt das Beispiel unseres Ehrenmitglieds Dietmar Grieser.
Schon mit seinem ersten Buch, dem 1973 im Fischer Taschenbuch Verlag erschienenen Bändchen „Vom Schloß Gripsholm zum River Kwai. Literarische Lokaltermine“, einer Sammlung von Reportagen von den Schauplätzen der Weltliteratur, erwarb er sich den Ruf eines profunden Rechercheurs von einigem Spürsinn, der es versteht, die Ergebnisse seiner Recherchen in lockerer, leichtfüßiger Form, nie aber seicht und auf schnelle Sensation bedacht, vor einem breiten Publikum zu präsentieren. In dem halben Jahrhundert, das seither vergangen ist, hat er mit einer langen Reihe von Büchern seinen Rang als einer der erfolgreichsten, meistgelesenen kulturhistorischen Sachbuchautoren des Landes gefestigt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Arbeit ist seiner Wahlheimat Wien gewidmet, den vielen bemerkenswerten Charakteren, die sie in ihren Bann gezogen hat, den vielen, oft kuriosen Geschichten, die sich in dieser Stadt zugetragen haben, den vielen Lebenswegen, die sich aus allen vier Winden in ihr begegnen. Man hat es ihm erst kürzlich gedankt, mit der Verleihung des neu geschaffenen Preises für besondere kulturelle Verdienste um die Stadt Wien.
Nicht nach Wien, nicht ins kreative Milieu der Donaumetropole, sondern in ihre sommerliche Dependance, in das Salzkammergut mit seinen mondänen Sommerfrischen seinen Seen und Bergen, seinen Kurorten und Bauerndörfern, führt uns Grieser in seinem mittlerweile längst vergriffenen Buch „Nachsommertraum“ von 1993, das nun unter dem Titel „Es muss was Wunderbares sein …“ neu erschienen ist. Der Autor hat die einzelnen Episoden in eine neue Ordnung gebracht (stand in der Originalausgabe Stifters „Bergkristall“-Urerlebnis in Hallstatt an erster Stelle, so bildet nun Gustav Mahlers Flucht vor dem Lärm der Welt in sein Tuskulum Steinbach am Attersee den Auftakt), er hat manches ersatzlos gestrichen (wie etwa die Episoden rund um den Operettenkomponisten Leo Fall und den Dichter Alexander Lernet-Holenia), anderes (wie die Episoden um Viktor Kaplan, den Erfinder der Schiffsschraube, und die Schilderung, wie Felix Salten in der Sommerfrische die entscheidende Inspiration für seinen weltberühmten Tierroman „Bambi“ fand) wieder an passender Stelle ergänzt. Kurzum, kein neues, sondern ein rundum erneuertes Buch ist es, was er hier vorlegt.
Jene, die Grieser bereits kennen und ihn Jahr um Jahr und Buch um Buch auf seinem Weg begleitet haben, werden Vertrautes wiederfinden, jenen hingegen, die 1993 noch nicht auf der Welt oder noch zu jung waren, um schon zur Gemeinde des Autors zu gehören, mag dieses Buch als Einstieg dienen. Und es ist fürwahr kein schlechter Einstieg in das Werk dieses Autors, vereint es doch alle typischen Eigenschaften und Qualitäten seiner Literatur: die Nähe zu den Quellen, das behutsam und gekonnt dosierte Originalzitat, die Fähigkeit, sich in das Damals zu versetzen, ohne dabei das Wissen von heute zu verleugnen, und nicht zuletzt: die Kunst zu pointieren, schon mit den ersten, zwei, drei Sätzen mitten ins Geschehen zu führen. Manchmal setzt Grieser ganz klassisch ein, mit der Angabe von Ort und Datum („Wien, 13. Juni 1949“), umreißt die historische Situation mit wenigen Strichen („Die kriegszerstörte Staatsoper ist noch Baustelle …“) und geht gleich in medias res, zieht uns ohne lange Erklärungen ins Geschehen („Dennoch ist das berühmte Haus am Ring an diesem Frühsommertag Anziehungspunkt Tausender Musikbegeisterter“). Er verwendet das ganze Instrumentarium der Erzählkunst, Zeitraffung und Zeitdehnung, Rückblende und Vorausdeutung, er kennt den allwissenden Erzähler ebenso wie den immanenten, personalen Erzähler, der auf Augenhöhe ist mit den Figuren, mit ihnen räsoniert und ratlos ist, mit ihnen plant und sucht und sinniert: „Berchtesgaden, wo man im Vorjahr die Sommerferien verbracht hat, war schön, aber mit zu viel Ablenkung verbunden. Wie soll man da zum Komponieren kommen?“ Derart unvermittelt beginnt die Mahler-Episode. Wüsste man nicht, dass sie in einem populärhistorischen Sachbuch steht, man würde sie glatt für den Anfang einer Kurzgeschichte halten, einer fiktiven Erzählung rund um reale Figuren vielleicht. Hier, an Stellen wie diesen, offenbart sich Griesers literarische Qualität, seine Begabung als Erzähler und seine Güte als Stilist.
Einen Sinn für attraktive Themen und ergiebige Quellen hat manch einer und hat damit schnellen Erfolg, die Kunst aber, eine Geschichte faktengetreu zu erzählen, ihr dabei ein Gesicht und eine Stimme zu geben, Rhythmus und Atmosphäre, einen musikalischen Verlauf mit Thema und Variation, mit Auftakt und Schlussakkord, macht den entscheidenden Unterschied, und es ist immer wieder ein beglückendes Erlebnis zu sehen, mit welcher Souveränität Dietmar Grieser diese Kunst beherrscht.
Christian Teissl (2024)