Rezension
Hannes Vyoral
Europa. Eine Reise
Aufzeichnungen & Gedichte.
Edition lex liszt 2023, 270 Seiten
ISBN 978-978-3-99016-248-4
„Reisen wir“, heißt es in einem Gedicht von Doris Mühringer. „Aber wohin / frage ich / Heimwärts / Aber wo ist das / frage ich / Innen / sagt die Stimme“. Mit Hannes Vyoral reisen wir durch viele Länder, aber auf eine gewisse Weise immer auch nach Innen. Als „aufzeichnungen & gedichte“ bezeichnet er seine reiche Sammlung an Texten. Und diese sind darüber hinaus nicht bloß Aufzeichnungen, sondern Zeichnungen mit feinem Stift, reduziert auf die wesentlichen Linien und Farben. Der Leser steht inmitten jedes Bildes, wenn er die wenigen erforderlichen Zeilen liest, die ihn an den fernen Ort bringen. Er steht auf der Hügelkuppe oder am Kraterrand oder am Strand, manchmal lehnt er auch am offenen Fenster eines Hotels in einer hellen nordischen Nacht, aber niemals auf irgendeinem Hügel, irgendeinem Krater Islands oder irgendeinem Strand. Jeder Text hat seine genaue Lokalisierung. Das gibt einem beim Lesen das Gefühl, sich wie der Autor auch auf einer Reise in sämtliche Richtungen Europas zu befinden, vom französischen Réunion im indischen Ozean bis zu den Lofoten, von der Türkei bis Portugal.
„heimweh nach der ferne“ erfasst auch den Leser. Und so entsteht ein Sog, der durch die Seiten treibt. Es ist nicht Fernweh, das von den Texten geweckt wird, vielmehr ist es ein Gefühl für die Welt, die unser Zuhause ist, in ihrer unglaublichen Vielgestaltigkeit. Und wir kennen sie nur zu einem kleinen Teil, und selbst diesen kleinen Teil zumeist nur flüchtig. Es ist die Genauigkeit der Ortsbestimmung, mit der jede einzelne Aufzeichnung, jedes Gedicht versehen ist, die uns ein kleines Miterleben schenkt. Wir werden zu Zeugen von Augenblicken, die unwiederholbar sind. „es überfordert mich / am rücken liegend / dass die blätter / im frühlingswind / nicht noch einmal / so zueinanderstehen / wie in diesem augenblick“ (S. 121). Das Schauen, die Präzision der Wahrnehmung ist wesentlich für das Erlebnis, ein Teil von allem zu ein. Es ist das Hineinschauen und Hineinhören, das zum Gedicht wird, der intensive Wunsch, den besonderen Moment festzuhalten. „es gibt gute tage / es gibt schlechte tage // in den guten bin ich / alles was ich schaue // in den schlechten / nur ich“ (S. 123). Auf diese Weise fährt man sich selbst davon und gleichzeitig entgegen und trifft sich dort, wo man wieder mit allem verbunden ist.
Einmal taucht der Gedichttitel reisemüde auf, und im Traum öffnet sich der Wald „und am haus die tür, / der regen klopft / ans fensterbrett / daheim“ (S. 189). Und da sind wir wieder bei Doris Mühringer angelangt, wenn der Band damit schließt, dass alles Erlebte nach Innen genommen, zur Erinnerung wird: „und dort wo ich war / bleibt erinnerung / und da wo ich sein werde // erinnerung – / die eine weiß nichts / von der anderen“ (S. 237)
Der Band ist sorgfältig gestaltet, mit Anmerkungen ausgestattet und mit einem Inhaltsverzeichnis, das manchen Titeln Widmungen beifügt.
Elisabeth Schawerda (2024)