Rezension
Peter Paul Wiplinger
Feuerzeichen/Вогняні знакі
Gedichte zum Krieg in der Ukraine
Löcker Verlag 2023, 118 Seiten
ISBN 978-3-99098-185-6
Selten habe ich mich über einen Irrtum meinerseits so sehr gefreut! Denn es ist noch nicht so lange her, dass ich in einer Rezension von einem »letzten Buch« Peter Paul Wiplingers sprach, und das sogar zweimal. Nun, ich habe mich bereits zweimal geirrt, denn nun gibt es ein neues Buch des 1939 im oberösterreichischen Haslach geborenen Autors, und ich werde nicht wieder den Fehler machen, von einem »letzten« Buch zu reden. Wiplinger legt mit »Feuerzeichen« seine aufwühlenden Gedanken zu Putins Vernichtungskrieg gegen die Ukraine vor. Aufwühlend für uns Leser*innen, vor allem aber für ihn selbst.
Nie hat Wiplinger zu weltpolitischen Katastrophen geschwiegen, und wer mit seinem umfangreichen Werk vertraut ist, kennt die zahlreichen Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus, die zur Erfolglosigkeit verurteilten Erklärungsversuche und die persönliche Aufarbeitung des Autors der eigenen Kindheit und des von Propaganda, Hass und Bedrohung geprägten Umfeldes seiner frühen Jahre. Peter Paul Wiplinger führte einen unermüdlichen, wortreichen Kampf gegen die Gewalt, die Lüge, die Intoleranz und das Vergessen.
Es war nicht »der Putin«.
Es war nicht »der Stalin«.
Es war nicht »der Hitler«.
Nein, es waren und sind
immer alle die vielen, die
einem Führer folgen und
gehorsam mitmarschieren.
Nein, es waren und sind
alle, die der Propaganda
und den Lügen vertrauen
und die Befehle befolgen. (S. 46)
»Feuerzeichen« ist zweisprachig im Wiener Löcker Verlag erschienen. Die ukrainische Übersetzung besorgte die Wissenschaftlerin, Buchkritikerin, Journalistin und Autorin Hanna Hnedkowa. Zwei Vorworte sind enthalten, das eine vom langjährigen Weggefährten und PEN-Präsidenten Helmuth A. Niederle, das zweite vom ukrainischen Schriftsteller, Übersetzer und Literaturhistoriker Tymofiy Havryliv (Тимофій Гаврилів).
Es geht um das propagandistische Lügenkonstrukt des selbstherrlichen »Herrn« Putin, seines Zeichens KGB-Agent (auch wenn der russländische Geheimdienst heute anders heißt) und selbsternannter Zar, dem es gefällt, in den goldverzierten Marmorsälen des Kremls vor der Welt zu paradieren.
herr putin dieser KGB-geschulte zar
träumt vom weltbeherrschungssieg (S. 32)
Was am Ende übrig bleibt, sind Tod und Zerstörung. Peter Paul Wiplinger fragt in seinen Gedichten die russischen Mütter, warum sie schweigen und wie sie das aushalten, ihre Söhne in den Untergang zu schicken. Denn wenn schon die Verbrechen der russländischen Armee in einem Nachbarland negiert werden, dessen Menschen von den Russen noch vor Kurzem als »Brudervolk« bezeichnet wurden, dann sollte Putins Untertanen doch zumindest der Untergang einer ganzen Generation ihrer eigenen Söhne einen lauten Protestschrei wert sein. Doch stattdessen befeuert der russisch-orthodoxe Patriarch Folter und Massaker, während der Kreml-Diktator seine Ausführungsgehilfen und Kriegsverbrecher öffentlich auszeichnet und als vermeintliche Vaterlandsverteidiger darstellt.
In mehreren Gedichten thematisiert Wiplinger den berüchtigten Hofknicks der damaligen österreichischen Außenministerin, die heute nichts Besseres zu tun hat, als sich in Putins Reich mitsamt Pferd (das hatten wir doch schon einmal in anderem Zusammenhang …) niederzulassen und in öffentlichen Podiumsdiskussionen die heutige österreichische Bevölkerung als faschistoide Russenhasser zu verunglimpfen. Eines dieser Gedichte heißt »Zweierlei Wirklichkeiten«:
ein hofknicks vor dem zaren
in den hinterkopf ein schuß
der KGB-diktator lächelt milde
die ministerin fühlt sich geehrt
die städte sind verwüstet
die menschen auf der flucht
die vielen massakrierten toten
abtransportiert ins massengrab
zwei wirklichkeiten sind im bild
nur ein wenig zeitverschoben
beim hofknicks und beim tänzchen
wer hätte damals denn gedacht
daß dieser so charmante staatsmann
zugleich ein menschenschlächter ist (S. 34)
Die meisten Gedichte verwenden Kleinschreibung und verzichten auf Satzzeichen. Zwar sind das typische Stilmerkmale der wiplingerschen Lyrik, doch in diesem Fall erkenne ich darin einen geradezu atemlosen Gedankenfluss, der das ohnmächtige Entsetzen angesichts der vom russländischen Diktator willkürlich entflammten Tragödie widerspiegelt.
Wiplinger sieht Analogien zu den furchtbaren Ereignissen während des Nationalsozialismus und erinnert sich an seine Kindheit und Jugend, in der er nur allmählich von den Verbrechen des »Führers« und seiner zahllosen Gehilfen erfuhr. Dass Überfälle wie jene auf Polen damals und die Ukraine heute sowie die damit verbundenen Kriegsverbrechen nur durch Millionen gehorsamer Mitläufer möglich sind, liegt auf der Hand. Und leider auch, dass nachher kaum jemand davon gewusst haben will. Peter Paul Wiplinger, dem inzwischen betagten und leider auch kranken Autor, wäre es jedoch ein Gräuel, einfach den Mund zu halten und wegzuschauen. Deshalb schrieb er dieses Buch, um uns allen klarzumachen, dass wir diese Ereignisse nicht einfach auf uns sitzen lassen dürfen.
Klaus Ebner (2023)