Rezension
Beatrix Kramlovsky
Frau in den Wellen
hanserblau, München 2022, 316 Seiten
ISBN 978-3-446-27479-2
Ja, Joni – die ‚Frau in den Wellen‘ – führt ein bewegtes Leben, behende bewegt sie sich zwischen Städten und Kontinenten, zwischen Wien und Berlin, zwischen New York und Vejer de la Frontera, zwischen Europa und Kanada, zwischen Amerika und Asien.
Joni hat alles im Griff. In jeder Stadt gibt es einen guten Freund, der sie beherbergt – von Freund zu Freund, von Welle zu Welle – sie fällt weich. Es gibt verständnisvolle Freundinnen, darunter die Partnerinnen ihrer Freunde. Eifersucht existiert nicht.
Fast ein wenig unwahrscheinlich, soviel Glück.
Und auch die Familie spielt mit – der Ex-Mann, die Ex-Schwiegereltern, die beiden Kinder.
Joni verwirklicht sich auf dem internationalen Parkett, als Beraterin von Regierungen und Konzernleitungen, zu Themen wie Naturkatastrophen und Migration, zu Spätfolgen von politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen. Sie stellt Teams mit hochrangigen Experten zusammen. Sie ‚schwimmt‘ weit oben.
In Spanien lässt sie sich ein Steinhaus renovieren, in Kanada lässt sie sich am Okanagan Lake inmitten von Weingärten ein Haus hinstellen. Sie hat sich daran gewöhnt, wohlhabend zu sein. Das Haus am See – ‚Out of the Blue‘ – ist der sichtbare Beleg ihres Erfolgs.
Joni ist eine ungewöhnliche Frau, ja; doch mit ihrem unbedingten Willen zu Selbstdurchsetzung und Selbstbestimmung macht sie es den Lesenden nicht gerade leicht, sie sympathisch zu finden. Einmal ist die Rede davon, sie sei bereit, den Preis zu zahlen für ihr unbändiges Streben nach Unabhängigkeit. Letztendlich ist es ihr Sohn, der einen höheren Preis zahlen wird als sie.
Joni wird ein neues Zuhause mit einem neuen Partner finden in ihrem Haus am See. Sie wird ihren Sohn dazu holen. Ein Happyend für alle?
Die Autorin versteht es, die Atmosphären der verschiedenen Städte und Landschaften - durch die Joni sich scheinbar mühelos bewegt - zu erfassen. So ist zum Beispiel ihr Leben als Diplomatengattin im Ostberlin des Jahres 1989 äußerst authentisch mitzuerleben. Auch die Schilderungen der kanadischen Landschaften, durch die Joni wandert, teils alleine, teils in Begleitung von Freunden, sind dergestalt, dass man gerne mitwandern möchte.
Allerdings gibt es auch, im Kontrast zur Coolness der Hauptdarstellerin, etliche emotional überbordende Vergleiche - ‚ersehnte Erfüllungen wie aufgehende Sonnen‘ oder ‚blitzende Möglichkeiten, die Schmetterlingsflügeln gleichen‘. Das kann man mögen, oder auch nicht.
Ist Joni ein Modell? Sollte sie eines sein? Ist sie eine Aufforderung für Frau, sich über alle Konventionen hinwegzusetzen? Ist das die Intention des Romans? Ich bin mir darüber nicht schlüssig geworden. Bitte selbst lesen!
Die ‚Frau in den Wellen‘ ist es wert.
Claudia Taller