Rezension
Georg Potyka
Frauen im wilden Westen
Olgas Umweg zur Meisterschaft
Verlagshaus Schlosser 2023, 230 Seiten
ISBN 978-3-96200-766-9
Obzwar es im jüngsten Werk des Autors von Verbrechen nur so wimmelt (von gewaltsamer Entführung angefangen, über Drogenhandel, Wirtschaftskriminalität und Geheimprostitution bis hin zum Mord im Bandenmilieu), trägt es kein ‚Kriminalroman‘-Etikett am Umschlag, was durchaus verständlich ist, denn auf dem Back-Cover des Buches ist im Exposé-Stil zu lesen, worum es dieser Geschichte geht und dass alles gut ausgeht. Folglich kann man sich dem Handlungsgeschehen entspannt widmen.
Die zeichnerisch begabte Kunststudentin Olga wird durch eine Bande Mädchenhändler brutal aus Sofia entführt und in Wien in ein Geheimbordell gesteckt. Dort findet die Verzweifelte in ‚Kollegin‘ Ludmilla eine verständnisvolle Freundin, die ihr letztendlich behilflich ist, mit Ilja, dem aus Sofia angereisten Freund Olgas zu fliehen – er hat auf abenteuerliche Weise herausgefunden, wo sich seine Freundin befindet – und in die Heimat zurückzukehren, wo allerdings ein hinterhältiger Racheakt der korrupten Mädchenhändlerbande geplant ist, der aber Gott sei Dank scheitert und Olga endlich einer künstlerisch erfolgreichen Zukunft entgegensehen kann. Ab dem Moment, wenn Olga in das Wiener Geheimbordell ‚geliefert‘ wird, läuft ein zweiter Handlungsstrang ab, in welchem der Betreiber des Geheimbordells samt seiner kriminellen Belegschaft, öffentliche Mandatare, Beamte und vor allem korrupte Manager der Bauwirtschaft verwickelt sind. Ein etwas schrulliger Rechtsanwalt, der Ilja das Auffinden von Olga und deren Flucht ermöglicht hat, hilft zusammen mit einer mütterlichen Berufskollegin einem seriösen Bauunternehmer, sich gegen einen mit Politik und Beamtenschaft zwielichtig vernetzten Konkurrenten erfolgreich zu wehren. Verbunden sind beide Handlungsstränge durch die Person des korrupten Bauunternehmers, der, verdeckt durch einen Mittelsmann, das Geheimbordell in Wien betreibt.
Der Autor, berufsbedingt mit den Verhältnissen in der bulgarischen Hauptstand bestens vertraut, lässt das Geschehen in einem ein wenig nüchternen Protokollstil ablaufen, wobei er auf Details, was die arme Olga im Wiener Bordell an Gewalt und Erniedrigungen zu erleiden hat, gänzlich verzichtet. Wie auch Ordinäres, Vulgäres und Fäkales nur dort vorkommen, wo es dem Milieu als authentisch zu verstehen ist. Und dennoch ist der Inhalt spannungsreich aufgearbeitet, denn man ist gespannt – obwohl man über das gute, fast zu schöne Ende Bescheid weiß –, WIE es zustande kommen kann.
Ein lesenswertes Buch, welches letztendlich die Vermutung aufkommen lässt, dass darin reale Ereignisse literarisch verknüpft worden sind. Sollte dem so sein, so ist der liebenswerten Olga von Herzen zu wünschen, dass sie den Horror in Wien ebenso unbeschadet überstanden hat wie im vorliegenden Buch.
Alles in Allem: ein neuerliches Meisterwerk des Autors!
Michael Stradal (2024)