Rezension
Hannes Vyoral
frühstück wie immer
edition keiper 2024, 112 Seiten
ISBN 978-3-903575-26-4
Zettel, Stift und das Erinnern hoch in den Baumkronen.
Zu den Gedichten „frühstück wie immer. Alltagsgedichte“ von Hannes Vyoral
Poetik der Reduktion
Hannes Vyorals Gedichte sind im besten Sinne des Wortes entrümpelt, und dies auf allen Ebenen: in ihrer Form, in den Inhalten, im Ton. In einer Hinsicht erfüllen sie das spartanische Programm aber ganz und gar nicht: im Erkenntnisglück, für Herz und für Kopf. Diese Kleinode an Gedichten beschenken uns Leser*innen mit der Klarheit und Bescheidenheit der poetischen Freude an den scheinbar kleinen Dingen im Leben.
Vieles dementgegen will heute hoch hinaus, im Leben wie in der Literatur: Arbeit und Familie unter einen Hut bringen, Sport treiben, den literarischen Bestseller schreiben. Zurecht fragt deshalb der Dichter in „anonyme tage“ (S. 23):
wo sind die tage geblieben
die allesamt keine erwähnung
finden in einem gedicht?
vieles war einfach alltag
den man unhinterfragt
hinnahm mit verrichtungen
Es ist auch die Weisheit an den Schreibtisch mitgebrachten Lebens, die dem Dichter zugute kommt. Die Kunst, zu leben und das Leben aufzuschreiben, bíos gráphein, wie es im Griechischen heißt. Die Lebenserfahrung, die Hannes Yvoral macht, er hält sie seit nunmehr vierzig Jahren in Literatur fest, und zwar fast ausschließlich in Gedichtbänden. Ich bekenne ich habe gelebt, heißt die Autobiografie des großen chilenischen Dichters und Nobelpreisträgers Pablo Neruda. Das Leben schenkt einem mit jedem runden Geburtstag vermutlich mehr und mehr Anlässe zum Dichten – man muss allerdings aufmerksam für sie sein. Ebenso nimmt es einem andererseits ungefragt Dinge weg (S.25):
es war weg
ohne dass ich es bemerkte
plötzlich
denn zuvor
war noch sehr viel da
dann war es weg
Die ‚einfache‘ Form
Zeitgenössisch – dies ist an diesen Gedichten am ehesten die durchgängige Kleinschreibung aller Titel und Verse.
Die Gedichte umkreisen gerne einen philosophischen Kern und fangen ihn ein, insofern erinnern sie an Lars Gustafsson. In der heimischen Szene weiß ich eine Dichterkollegin Hannes Vyorals, die ebenso einen autofiktionalen Ansatz in ihrer Lyrik verfolgt, nämlich C.H. Huber.
Vyorals Gedichte knüpfen, wie mir scheint, aber auch an die Tradition der Trümmerliteratur an. Günter Eich hat mit seinem Gedicht „Inventur“ nach dem Schrecken der beiden Weltkriege hierzu die poetische Devise vorgegeben – dem Gedicht wird jeglicher artistische und formale Ballast erspart.
Hannes Vyoral streut die Erkenntnisse seiner Gedichte gerne zwischen sinnliche Naturbilder ein, intensiv und existenziell. So heißt es in „rückschau“ (S. 61):
einstmals
traten wir hinaus
durch die offene tür
in den morgenwind
ins frische sonnenlicht
und griffen ins gras
ins laub der bäume
und begriffen es
als teil von uns selbst
da war die welt
noch in ordnung
Oft sind es vermeintlich kleine Eingriffe auf formaler Ebene, mit denen der Dichter große Wirkung erzielt. So ist es im obigen Gedicht allein der Vers „als teil von uns selbst“, der den ersten Teil des Gedichts und die zentrale Erkenntnis poetologisch miteinander verbindet. Und auch das „noch in ordnung“ ist klug gesetzt, lässt sich doppelbödig verstehen, im phänomenologischen, im ironischen Sinn wie auch im zeitkritischen.
Gerne sind es Nomina wie „licht“, „gras“, „herz“ und „schnee“, auf die der Dichter immer wieder zurückgreift, um seine poetischen Welten zusammenzuhalten. Eines tun die Gedichte von Hannes Vyoral nicht: von ihrer poetischen Umlaufbahn abweichen. Man weiß nach einigen Seiten Lektüre, was man bekommt. Und das ist jede Menge!
Reinhard Lechner (2025)