Rezension
Schawerda/Zwettler-Otte
Gefährliche kleine Wörter
Verlag der Apfel, Wien 2019, 52 Seiten
ISBN 978-3-85450-032-2
Beide Autorinnen sind den interessierten Leserinnen und Lesern wohlbekannt ‒ Germanistinnen beide; dazu weist sich Frau Schawerda noch als Kunsthistorikerin, Frau Zwettler-Otte zudem als Psychologin und Lehranalytikerin der „Wiener Psychoanalytischen Vereinigung“ aus. Man darf gespannt sein, wie die beiden Damen, derart sensibel „aufgerüstet“, aus dem Rohmaterial der „gefährlichen kleinen Wörter“ mit geschicktem Griff verräterische Wortpartikel herausfischen, um sie seelenärztlich „abzuklopfen“.
Was dann aus dieser interdisziplinären Untersuchung resultiert, ist nicht nur die Bestätigung der klammheimlichen Vermutung, dass diese Wortprägungen (wie Sidonia Gall in ihren Begleitworten vermerkt) von Fall zu Fall zwischen „Beiläufigkeit, Deutlichkeit und Widerspruch“ changieren, sondern dass sie auch nichts weniger sind als eine psychologische Erkundung der Sprachschöpfer selbst, somit – kenntnisreich verpackt ‒ zugleich eine linguistisch basierte Charakterkunde des Menschen.
In all den Untertönen, die so ein scheinbar „unbedarftes“ Wörtchen, so ein semantischer „Pausenfüller“, im Umfeld seiner Wortnachbarn annehmen kann, spiegelt sich der weite Bogen sprachlichen Differenzierungsvermögens und mit ihm der Reichtum menschlicher Charakterkostümierungen. Der Band bestätigt: Die Sprache bleibt das Meisterstück des Menschen! Sprache in all ihrer Schattierungsfülle bleibt ewig unerreichbar ‒ auch nicht durch eine gefühlsabsente, holzköpfige künstliche Intelligenz!
Man greife zur Probe ein Beispiel aus seinem Umfeld heraus, tilge das „kleine Wörtchen“ darin … und man wird feststellen, dass das Ausgedrückte an Zusammenhang und Farbe einbüßt. Wird ein solches Wort bei einer Übersetzung unterschlagen, so fehlt, wie Frau Zwettler-Otte in ihrem Vorwort so treffsicher bemerkt, „das Salz in der Suppe. Das Gewürz, das den richtigen Geschmack und die Bedeutung“ vermittelt.
Probieren Sie es: Wählen Sie ein Wort aus den 39 Beispielen, erkunden Sie im Alleingang mögliche Nachbarschaftsvarianten, ermitteln Sie den jeweiligen, mit neuer Nachbarschaft wechselnden Bedeutungswandel des Wörtchens – und blicken Sie dann auf das Gegenangebot des Buches: Sie werden erkennen, wie Sie mit jeder derartigen Übung an sprachlichem Verantwortungsgefühl gewinnen – und wie sehr gerade diese „gefährlichen kleinen Wörter“ ihr Kolorit dem Umstand verdanken, dass sie ihre Quelle im Unbewussten besitzen und aus ihm in den rationalen Kontext eingeschleust werden, wie so viele unserer „taghellen“ Entscheidungen auch, von denen wir unbeugsam annehmen, dass sie dem stolz geblähten Gockel des Bewussten entstammen.
Die Textabschnitte beider Autorinnen sind farblich abgehoben – was aber letztlich nicht so entscheidend ist, denn die Einzelbeiträge dieses Bandes ergeben eine geschlossene, rundum stimmige, bruchlose Einheit.
Das Buch ist ein (be)lohnendes Geschenk für jeden an Sprache und Psychologie Interessierten, nicht zuletzt auch für Autorinnen und Autoren. Denn mit jedem aufgebreiteten Beispiel wird sie/er für die Feinheiten der Sprache empfindsamer, aufgeschlossener werden – der Band ist somit etwas wie ein sprachkritisches Echo der legendären „Fackel“, wenn diese auch in einer Zeit erschien, die dem kritischen, liebvollen, verantwortungsvollen Umgang mit der Sprache wohlgesinnter war. Was sich wohl alle, die durch den Kursus dieses Bandes geschritten sind, wünschen, wäre wohl eine Fortsetzung – es gibt da sicherlich viele vieldeutige kleine Wörter, die zappelig nach ihrem Aufritt fiebern!
Rezensent: Gottfried Pixner