Rezension
Johannes Wais
Geistesgewärtig
Gedichte und Gebete.
Echter Verlag 2023, 112 Seiten
ISBN 978-3-429-05900-2
Die Angabe „Gedichte und Gebete“ auf dem Cover einer literarischen Neuerscheinung weckt heute vielerorts Skepsis: Geht das noch zusammen? Lässt sich das noch miteinander vereinen? Hemmt ein religiöses Bekenntnis nicht den freien Flug der Worte? Dass Gebet und Gedicht ein- und derselben Wurzel entstammen und die Anfänge aller Poesie, soweit sie überliefert sind, im Bereich des Kultischen liegen, ist in unserer säkularisierten Welt weitgehend vergessen. Und doch ist der weite und vielfältige Bereich der spirituellen Literatur keineswegs verwaist, werden auch heute immer wieder noch Versuche unternommen, die Erfahrungen des Glaubens in neue, bisher so noch nicht gehörte Worte zu fassen. Davon zeugt etwa die bereits auf viele Bände angewachsene literarische Reihe des Würzburger Echter-Verlages. In dieser Reihe hat nun Johannes Wais, seit Kurzem Mitglied unseres Verbandes, sein literarisches Debüt vorgelegt. Im Brotberuf Religionslehrer an einem Wiener Gymnasium, seit langen Jahren auch als Fotokünstler tätig, vereint er in sich theologisches Wissen mit einem fein ausgeprägten sprachkritischen Bewusstsein. Seine lyrischen Arbeiten sind lange im Verborgenen geblieben, und es ist erfreulich, dass sie nun erstmals zwischen Buchdeckeln vorliegen.
Wais spricht in seinen Gedichten wie in seinen Gebeten mit leiser, verhaltener, aber entschiedener Stimme, gibt Zeugnis von seinem Unterwegssein im Glauben, hier und heute, von seinen Erfahrungen mit dem Geist, der weht, wo er will, und schöpferische Unruhe stiftet, wo sich alles satt und zufrieden in das Bestehende fügt. Das Wort „Geistesgewärtig“, das auf den ersten Blick gesucht und fremdartig anmuten mag, hat Wais mit Bedacht über seine Sammlung gesetzt, denn „geistesgewärtig“ bedeutet eben nicht, auf alles eine Antwort parat zu haben, alles zu kennen und alles zu wissen – oder so tun, als ob –, sondern über „Unglaubliches staunen zu können“ und „mit dem Unberechenbaren zu rechnen“. Wer geistesgewärtig ist, lässt sich überraschen, und zwar nicht erst von der Zukunft, sondern bereits von der Gegenwart; wer „geistesgewärtig“ ist, verschanzt sich nicht hinter seinen Meinungen und Überzeugungen, sondern bleibt offen für alles, was ihn berührt und verwandelt.
Die Sprache dieses Buches schöpft aus dem reichen, zeitlosen Fundus der biblischen Bilderwelt und der liturgischen Rede, bleibt dabei aber stets karg und schmucklos und bewahrt sich ihre Nähe zum Alltag, zur Welt, in der wir leben. Die zwölf „Mikropsalmen“, die es enthält, kennen daher nicht nur den Ruheplatz am Wasser, sondern auch „das Rasen auf Schnellstraßen“, und sieht der biblische Psalmist noch sein Leben „in Kummer dahinschwinden“ und seine Jahre „in Seufzen“ vergehen, so heißt es hier, umgelegt auf unsere heutige Lebenswelt: „Herr / meine Jahre vergehen / wie früh gefallener Schnee / auf warmem Asphalt“
Mancher Text in diesem Band ist Zeit-Gedicht im besten Sinne des Wortes, anderes präsentiert sich als geschliffener Aphorismus, als Sentenz, in Ein-Wort-Verse gebrochen, wodurch jedes einzelne Widerhall weckt und nachklingen kann: „Der / sicherste / Weg / zur / Vermeidung / von / Irrtum / und / Lüge / führt / über / die / Abschaffung / der / Wahrheit“.
Um Wahrheit ist es diesem Autor vor allem zu tun, um eine Suche nach Wahrhaftigkeit, wie er selber in seinem Vorwort zu dieser Sammlung bekennt. In einer Zeit, in der „alternative Fakten“ regieren und der öffentliche Diskurs in hohem Maße von medial erzeugten Gefühlen bestimmt wird und von Ressentiments, ein ebenso undankbares wie dankenswertes Unterfangen.
Christian Teissl (2024)