Rezension
Johannes Diethart
Halt ruhig den Kopf hin
Neue Aphorismen
Österreichisches Literaturforum, Weißenkirchen 2022, 80 Seiten
ISBN 978-3-902760-22-7
Johannes Diethart nimmt sich in seinem jüngsten Aphorismenband nichts Geringeres vor, als das menschermüdete Habitat Erde samt deren Huckepack-Übervölkerung zu entkernen. Die Samen, die dabei aus der großen Weltfrucht anfallen, sind die tatheischenden Keimträger aller existenziellen Widersprüchlichkeiten. Sie geben sich archaisch, unzähmbar und anarchisch, und erfahren ihren geformten Reflex im weltbewanderten, historisch erfahrenen Auge des Johannes Diethart.
Kann jemand den folgenden „Punktlandungen“ widersprechen? „Es geht uns gut und immer besser. Und trotzdem steht es schlecht um uns … Der Mensch ist ein endliches Wesen mit unendlichen Ansprüchen … Die Zukunft bringt und nur das, was wir selber aus ihr machen … Der lauteste Aufschrei von allen: Schweigen … Manchmal kommt es mir vor, als stünd’ ich vor dem Totenbett meiner Zeit… Die Welt ist voller guter Menschen, die schlimme Sachen machen … Mit dem „Gendern“ befassen sich die falschen Leute, die zwar von Ideologie nur so strotzen, aber mit der Sprache auf Kriegsfuß stehn … Die Toten haben es gut. Sie haben es fast überstanden. Es steht Ihnen nur noch die Auferstehung bevor … Nur keine Angst: Jede Generation macht ihre eigenen Fehler. Und die alten dazu … Die Lieblingsbeschäftigung der Fundamentalisten ist die Abschaffung des Denkens.“
Mit diesen beispielhaften, knapp und (scheinbar) kühl formulierten „Bedenklichkeiten“, diesen Konzentraten einer täglich komplexer werdenden Welt, stellt Aphoristiker Diethart auf beklemmende Weise dar, wie unser kollektives Tun (Nicht-Tun!), durch Fatalismus und Verblendung unseren reich assortierten Planeten aus menschlichem Generalsversagen längst auf Schlingerkurs gebracht hat. Johannes Diethart kennt als Byzantinist die Psyche der Menschen sozusagen seit 2000 Jahren: faktenuntermauert und illusionsfrei! Kennt ihre anhaltende nackte Kreatürlichkeit und biologische Fragilität, ihre schwankenden Befindlichkeiten im „Räderwerk“ der Hormone und Neurotransmitter. Ein bergender göttlicher Spielleiter ist auch aus Dietharts Weltsicht längst entschwunden – vielleicht ist darin die Wurzel dafür zu finden, dass der Autor den Leser/innen, die er mit seinem oft anklingenden feinen Humor aufrüstet, das Gefühl zu vermitteln weiß, mit ihm in zupackender fraternité – der Zeiger der Welt-Uhr ist weit vorgeschritten – nicht nur anklagen, sondern auch noch eingreifen zu können?
Gottfried Pixner