Rezension
Andrea Heinisch
Henriette lächelt
Picus 2023, 208 Seiten
ISBN 978-3-7117-2142-6
Henriette lebt zurückgezogen in ihrer Wohnung, wenngleich diese Zurückgezogenheit inmitten der Corona-Pandemie gar niemandem auffällt. Aus Gründen der Beschwerlichkeit verlässt Henriette jedoch auch schon zuvor ihre Wohnung kaum. Einzig ihre Mutter hilft ihr, nicht ganz zu vereinsamen. Henriette hat eine ausgeprägte Essstörung und wiegt fast, auch wenn es ihr wichtig erscheint, dass es eben nur fast ist, 200 Kilogramm. Dieses Gewicht macht alles schwer. Das Gehen, das Leben und das Lieben. Lichtblick wird ihr neuer Arbeitskollege Martin, den sie via Skype jeden Tag aufs neue über den Computerbildschirm sieht, und Henriette kann ihren „Umfang“ verbergen. Henriette ist 50 und ihre Mutter prognostiziert ihr einen baldigen Tod, wenn es so „weitergeht“. Allerdings ist es die Mutter, lebensfroh und unternehmungswütig, die das Zeitliche segnet. Von einem Auto überfahren. Die Einsamkeit erschlägt Henriette aber nicht. Sie freundet sich mit ihrer Nachbarin von unten, Sonja und mit ihren Nachbarn von oben, Henry und sein Sohn Michael, die in die leerstehende Wohnung der Mutter einziehen, an.
In kurzen Kapiteln und mit viel Witz, aber auch Einfühlungsvermögen, schildert Andrea Heinisch die Irrungen und Wirrungen einer Frau, die gesellschaftlich an den Rand gedrängt ist. In einer Gesellschaft, wo „sex sells“, wo einem der makellose Körper auf jedem Werbeplakat unter die Nase gerieben wird und wo Einsamkeit tabuisiert wird, müssen die Henriettes oft zu U-Booten werden.
Heinisch gelingt es, alle Facetten Henriettes zu zeigen. Henriette zweifelt, sie resigniert, sie scheitert, sie fasst neuen Mut, sie kämpft, sie liebt, sie lebt, sie hilft, sie schöpft Hoffnung und sie meistert Hürden.
Henriette lächelt ist kein lauter Roman, sondern ein leiser, einer, der eine kleine Geschichte aus einem Mikrokosmos erzählt und sich dabei einer klaren, einer dezenten, aber auch einer nichts beschönigenden Sprache bedient – nichts dabei ist zu viel. Und, seitdem die Gesellschaft die Isolation eines Lockdowns kennt, kann man jene von Henriette besser nachempfinden. Es liegt also etwas zutiefst Menschliches in diesem Buch. Zuletzt bleibt für Henriette der Neuanfang und für uns die stille Freude, sie dabei begleitet haben zu dürfen.
Clemens Ottawa (2024)