Rezension
Michael Stradal
Im Labyrinth der Verdächtigungen
Kriminalnovelle aus Maria Enzersdorf/Südstadt.
Edition Roesner 2023, 156 Seiten
ISBN 978-3-9505405-2-9
Gibt es in Österreich Kommissare oder gar eine Oberkommissarin? In Michael Stradals Kriminalnovelle gibt es welche, und zwar ziemlich tüchtige. In nur wenigen Tagen – von Dienstagnacht bis Freitagnachmittag – lösen besagte Oberkommissarin Vukovic und Kommissar Nikolaus Novak gemeinsam mit Oberinspektor Gerhard Mantler und Inspektorin Siglinde Rasp den Fall ‚Kevin Auster‘.
Besagter Kevin Auster wurde am letzten Dienstag im Oktober gegen 22 Uhr 30 vor der Südstadtkirche erschossen aufgefunden. Er wollte offensichtlich eine Fahne – eine Regenbogenfahne, eine Pridefahne! – vor der Kirche aufziehen. Oder wollte er sie abnehmen? Mit unglaublichem Tempo bewegt sich das Ermittlerteam durch das titelgebende Labyrinth der Verdächtigungen.
Da wären die streng gläubige Beinahe-Exgattin Jolanda Auster; die Ex- oder doch Wieder-Freundin, Wilma Tröhe, gleichzeitig Assistentin des Chefs der ‚Neupaulinischen Bewegung‘; die Spanisch-Lehrerin des Opfers Sophia Serrano samt Musikergatte, Herrn Protrinovic; der Gemeinderat aus Wiener Neudorf, Vinzenz Nagy; der Chef der ‚Neupaulinischen Bewegung‘ – einem liberalen Verein, der die Ortskirchen unterstützt gegen reaktionären Druck von Seiten der Amtskirche –, Herr Hashimi und last, not least der katholische Pfarrer.
Mit wachsender Begeisterung und leicht verwirrt folgt man den Ermittlern und Ermittlerinnen durch das vor ihnen liegende Labyrinth – es gibt einfach zu viele Verdächtige. Und natürlich tippt man auf den Falschen. Oder auf die Falsche? Doch es gibt ja das Expertenteam vom LKA Mödling um die Oberkommissarin, die übrigens bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mit ihren durchaus beachtlichen Lateinkenntnissen glänzt – nur teilweise zur Freude ihrer Mitarbeiter.
Die Dialoge zwischen den gestressten Ermittlern und Ermittlerinnen sind spritzig, der Schmäh läuft, immer wieder wird mit dem Wissen aus dem Lehrbuch der kriminalistischen Faktenermittlung geglänzt, punktgenau mit der richtigen Seitenangabe.
Und natürlich ist der Schluss ein überraschender. Die Komprimierung der – letztendlich erfolgreichen – Ermittlungen auf wenige Tage gibt der Erzählung einen besonderen Drive. Resümee: flott geschrieben, fein zu lesen!
Claudia Taller (2024)