Rezension
Otto Hans Ressler
Kardinal und Hure
Die Geschichte eines Gemäldes
Edition Splitter, Wien 2022, 256 Seiten
ISBN 978-3-950440478
Bereits der Untertitel verrät, dass Otto Hans Resslers Roman die »Geschichte eines Gemäldes« ist, das folgerichtig den Titel »Kardinal und Hure« trägt. Aber natürlich ist das auch und vor allem die Geschichte der Personen, die im Umfeld dieses Bildes agieren. Allen voran der Maler, Edmund Schwarz, dessen Lebensgeschichte in vielen Details an die Biografie von Egon Schiele erinnert; sogar die Initialen sind gleich, und doch kann es sich nicht um Schiele selbst handeln, weil dann manches doch etwas abweicht und der berühmte Maler, ebenso wie Klimt und Kokoschka, im Buch zudem persönlich genannt wird. Auf der Buchdecke verrät der Autor immerhin: »Alles, was diese Geschichte erzählt, hat sich so – oder zumindest so ähnlich – ereignet.« Fiktion also, eingebettet in ein reales Umfeld. Und dieses hat es in sich:
Die Zeichnungen und Gemälde des Malers Schwarz werden zeitlebens kaum geschätzt. Sie weichen von den am Beginn des 19. Jahrhunderts üblichen Strömungen, etwa des Impressionismus, radikal ab; Edmund Schwarz bricht mit der Kunst-Akademie und gründet gemeinsam mit Gleichgesinnten eine Künstlergruppe in Wien, und er wird vom bereits anerkannten Gustav Klimt gefördert. Aufgrund vieler expliziter Darstellungen in seinen Werken muss sich der Maler vor Gericht wegen angeblicher Pornografie verantworten und ist wegen seiner Bilder und des Kommens und Gehens weiblicher und jugendlicher Aktmodelle in seinem Heimatort verpönt und angefeindet. (Man sieht also, die Parallelen zu Egon Schieles Leben sind auffällig; das betrifft auch Beschreibungen von Schwarz’ Zeichnungen.)
Den Kern des Romans bildet exemplarisch die Geschichte des im Titel genannten Gemäldes, das anfänglich von einem jüdischen Kunstsammler gekauft wird, Dr. Viktor Obrowsky (dessen Lebensgeschichte wiederum an den Arzt und Kunstsammler Oskar Reichel erinnert, der eine ganz ähnliche Rolle für Egon Schiele spielte). Obrowsky muss seine gesamte Sammlung nach Hitlers Einmarsch in Österreich an einen skrupellosen Naziprofiteur zu einem Spottpreis abgeben, um irgendwie an etwas Geld zu kommen, mit dem er die Flucht seiner Kinder ins Ausland mitfinanziert. Er selbst kommt kurz darauf in einem Konzentrationslager um, ebenso wie seine Frau.
Das Buch erzählt die verschlungenen und nicht ganz astreinen Wege des Bildes in den Besitz des österreichischen Staates und die Bemühungen von Obrowskys Kindern, die Gemäldesammlung oder zumindest einen Teil davon wieder zurückerstattet zu bekommen. Auf den Plan tritt dann auch der aufstrebende Rechtsanwalt Ernst Friedrich Hammer, der geradezu darauf versessen ist, möglichst viele Werke von Edmund Schwarz zu sammeln. Er kauft auf, was nur geht, teils durchaus im Wissen um das Arisierungsunwesen der Nazis, und macht Edmund Schwarz durch seine Sammelwut und Ausstellungen, die er selbst organisiert, zu einem gefeierten Maler – und dessen Bilder sehr teuer. Die Lebensgeschichte von Hammer nimmt breiten Raum im Roman ein, zeigt die Gratwanderung zwischen Legalität und Illegalität, wobei jeweils mehrere Standpunkte betrachtet werden, und Leser*innen erfahren, was die Sammelleidenschaft aus Ernst Hammer und seinem Leben macht.
Otto Hans Ressler geht es um das unlautere oder zumindest sehr fragwürdige Verhalten nicht nur von Einzelpersonen, sondern insbesondere der österreichischen Republik, welche nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Abtretung oder den Verkauf von vielen Gemälden und Zeichnungen weit unter ihrem Wert zu verantworten hat, die Werke in die österreichischen Museen eingliederte und sogar die Ausfuhr von eigentlich restituierten Bildern mit Hilfe entsprechender Gesetze zu verhindern wusste.
Otto Hans Ressler wurde 1948 in Knittelfeld geboren, war und ist leitender Mitarbeiter von Auktionshäusern, die sich auf zeitgenössische Kunst spezialisiert haben, und eben Schriftsteller, dessen Themen sich um Kunst und österreichische Geschichte drehen. Wie andere Bücher auch, profitiert »Kardinal und Hure« immens vom Fachwissen des Autors, und wir bekommen nicht nur eine spannende Geschichte zu lesen, sondern lernen dabei eine Menge über unser Land und seine Künstler*innen. »Kardinal und Hure« erschien als broschiertes Buch in der Wiener Edition Splitter. An der hinteren Innenklappe des Buchdeckels befindet sich ein heraustrennbares Lesezeichen – eine tolle Idee für ein beeindruckendes Buch!
Klaus Ebner