Rezension
Karl Wimmler
Kein Spiel
Als Österreichischer Linker in den 1970er Jahren
Promedia, Wien 2022, 176 Seiten
ISBN 978-3-85371-509-3
Mit der Schilderung der eigenen Geschichte ist es möglich, sogar den Literaturnobelpreis zu bekommen. Annie Ernaux hat viele schmale Bücher vorgelegt, aber eigentlich nur eine einzige Geschichte geschrieben, ihre Geschichte und die ihrer Familie und dabei auch einen scharfen Blick für das soziale und politische Geschehen entwickelt.
Bildungsbiografien haben etwas Anregendes und erlauben das eigene Leben mit dem geschilderten zu vergleichen. Es mag vermessen sein, Annie Ernaux und Karl Wimmler in einem Atemzug zu nennen, denn sie trennen doch Welten; sie Schriftstellerin, er Historiker und Geschichtsarbeiter. Und doch gibt es Verbindendes: Beide hat die Entwicklung politisch nach links getrieben, sie lenken unseren Blick auf die 1960er und 1970er Jahre. Trotz oder wegen vieler Umbrüche, Verwerfungen, eines vorläufigen Endes der Geschichte, das sich bloß als ein Atemholen des Kapitalismus entpuppte, blieben sie ihrer Haltung treu. Nicht dazuzugehören zur besseren Gesellschaft, groß geworden mit einem Abort, einem Plumpsklo, das ist der Ausgangspunkt.
Karl Wimmler beginnt seine Geschichte mit dem Titel „Das Plumpsklo im globalen Dorf“. In den Erzählungen von Annie Ernaux hat Abort einen Fixpunkt und findet sich sowohl in den Romanen „Der Platz“, „Das andere Mädchen“, „Die Jahre“, „Das Ereignis“ und „Die Scham“ erwähnt. Damit wollen wir es fürs Erste fast belassen und die volle Aufmerksamkeit dem österreichischen Linken widmen.
Während Annie Ernaux ihre Entwicklung und ihren Körper analysiert, gerät das Persönliche bei Karl Wimmler etwas in den Hintergrund; die Familienverhältnisse würden einen interessieren, manches kann nur geahnt werden, wenn sich plötzlich der Satz findet, dass die Kinder von Nazis in öffentlichen Schulen mit Mobbing zu rechnen hätten. Nicht viel anders ist es mit der Benennung der eigenen politischen Zugehörigkeit in den 1970er Jahren: Da wird vom „Kommunistischen Bund“ gesprochen und erst viel später erläutert, dass das die „Maoisten“ waren. Das sind Feinheiten, doch der aufmerksame Leser überlegt, warum dies wohl so ist.
Doch wie auch immer, das Buch ist anregend zu lesen, weil es die geschichtlichen Ereignisse von einem klaren Standpunkt aus betrachtet und beschreibt. Alles wird wider den Strich und vor allem: wider die öffentliche und veröffentlichte Meinung gebürstet. Dies passiert mit einer emotionalen Grundhaltung, der die Wut anzumerken ist, eine Wut, die einem aus fast jedem Satz entgegenspringt. Es scheint so, dass dies dem Autor selbst aufgefallen sein muss, und so zitiert er gegen Ende des Buches quasi als Erklärung den Beginn von Homers „Ilias“, wo es heißt: „Singe den Zorn!“. Ausgehend von diesem Satz entwickelt er sein Credo: „Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand ist.“ Angesichts der Ungerechtigkeit der Welt ist Zorn verständlich, führt aber dazu, dass im besten Fall „Dampfplauderer“ am Werk sind oder einfach „gequasselt“ wird. Die feine Klinge ist nicht Wimmlers Instrument, er präferiert wohl eher den Schlaghammer. Das macht seine Kritik angreifbar, trotzdem hat vieles an ihr, besonders dort, wo sie sich gegen die herrschende Doppelmoral wendet, ihre Berechtigung, sind viele seiner Hinweise auf verschüttete geistige Positionen der Linken wertvoll und bedenkenswert.
Wimmler ist ein kritischer Geist, der sich Peter Handke näher fühlt als Thomas Bernhard und nicht von ungefähr an einer Stelle seines Buches einen Satz des österreichisch-französischen Germanisten Gerald Stieg zitiert: „Es ist viel erträglicher, sich von Bernhard ununterbrochen als katholisch-nationalsozialistisch beschimpfen zu lassen, als das echte österreichische Antlitz im Spiegel zu sehen.“
Die Zeit, in der nicht wenige die Revolution vor der Haustür sahen, ist noch nicht so lange her und scheint doch wie aus einem anderen Jahrhundert zu sein. Auch diese Diskrepanz macht das Buch klar.
Robert Streibel