Rezension
Armin Baumgartner
Klopfzeichen aus der Vergangenheit
Erzählungen und Kurzprosa
Verlagshaus Hernals 2023, 84 Seiten
ISBN 978-3-903442-40-5
Klopfzeichen: das können Zeichen sein, die ein Verschütteter gibt, um der Welt draußen, den Menschen über Tage zu bedeuten, dass er noch am Leben ist; Klopfzeichen können verschlüsselte Botschaften sein, die Gefangene einander senden, von Zelle zu Zelle, hin und her, her und hin, gemorste Zwiegespräche; Klopfzeichen können verabredete Signale sein, in Zeiten der Verfolgung und Unterdrückung, mit denen einer dem anderen sagt: „Ich bin es, der draußen vor der Türe steht, dein Freund, nicht dein Mörder.“
Von Klopfzeichen aus einer Vergangenheit, die noch nicht lange zurückliegt und nicht vergangen ist, da ihre Taten und Untaten weiterhin sichtbar sind, unseren Landschaften eingeschrieben, unseren Biographien, unseren Ängsten und Träumen, erzählt das vorliegende Buch. Es ist ein schmaler, musikalisch durchkomponierter Band mit Prosastücken unterschiedlichen Zuschnitts und unterschiedlicher Färbung. In manchen präsentiert der Autor sich uns als ein Flaneur durch den österreichischen Alltag mit all seinen Absurditäten, in anderen wieder als ein Reisender unterwegs ins Herz der Finsternis, das nicht irgendwo in fernen Zonen liegt, sondern mitten in Europa, jenem Kontinent, der die Geister, die er rief, nicht los wird und dessen Landkarte immer noch und immer wieder eine Landkarte des Schrecken ist, der langen Friedenszeit zum Trotz, die ihm vergönnt war – und die nun hinter ihm liegt. „Und auf einmal bellen wieder die Hunde, es rasseln die Ketten erneut, es stampfen die Stiefel, es hämmern die Stempel […], es wuchert der Schauer, es wabert das Grauen […].“
Nicht alle Texte dieses Bandes sind auf diesen Ton gestimmt, es findet sich daneben auch so manches Scherzo, von sprühendem Sprachwitz getragen, und manche leichtfüßige Prosaphantasie in freien Rhythmen. Insgesamt präsentiert sich die Sammlung als ein Divertimento für einen Solisten.
Denn eines ist allen diesen Texten gemeinsam, ob sie nun Erinnerung aus erster oder zweiter Hand gestalten, ob sie von finsteren Zeiten handeln oder von hellen Momenten, sie wollen gesprochen sein, deklamiert, zu Gehör gebracht, am besten zu später Stunde, wenn der Lärm des Tages sich gelegt hat, die Grenzen zwischen Ego und Alter Ego verschimmen, wenn man sich und den anderen nichts mehr vormachen kann und nichts mehr vormachen will, das Verschwundene wieder sichtbar wird, das Verdrängte wieder groß und wirkmächtig im Raum steht, und der Boden unter den Füßen schwindet.
„Redner rund um die Uhr“ lautet der Titel eines Buches des frühverstorbenen Gert Jonke. Ein solcher Redner rund um die Uhr ist auf seine Weise auch Armin Baumgartner. Wer ihm zuhört, ermüdet nicht, sondern wird wacher und wacher mit jedem Wort.
Christian Teissl (2024)