Rezension
Claudia Tondl
Klosterneuburg sagst du
Literaturedition Niederösterreich
Mit einem Nachwort von Peter Waterhouse ISBN 978-3-902717-58-0
Augenblicke
Dass man die alten Leute befragen muss, so lang sie noch am Leben und geistig rege sind, ist seit langem bekannt. Zunächst galt das für die sogenannten „großen Schicksale“: Krieg, Vertreibung, Lagerhaft, Ermordung von Angehörigen. Aber auch bei den vielen kleinen Leuten, die oft nie aus ihrem Heimatort herausgekommen sind, gibt es reichlich Material. Schulkinder werden zu Befragungen losgeschickt, Erinnerungsbücher haben Hochkonjunktur, vielleicht auch weil man wissen möchte, wie es sich mit weniger Waren und mehr Natur einst leben ließ.
Ein besonders originelles Erinnerungsbuch ist in der Literaturedition Niederösterreich erschienen. Es wurden Gespräche geführt mit alten Menschen in Klosterneuburg, ganz leger bei Kaffee und Kuchen, und aufgezeichnet. Aus diesen Aufzeichnungen machte die Autorin ein Kunstobjekt, denn nicht nur das Gesagte wird präsentiert, sondern auch Collagen zum Thema. Eine Tischdecke als Stadtplan wird sukzessive angereichert mit Zeichnungen und Ausschnitten aus Fotos und alten Postkarten, um das Gesagte zu illustrieren, zum Beispiel wichtige Bauwerke, Geschäfte, die es schon lange nicht mehr gibt, und: das Kino – auch längst Vergangenheit. Leider findet man den O. W. Fischer nicht, der doch ein Klosterneuburger war und von allen Frauen umschwärmt wurde. Aber die Bensdorp Schokolade zu 2 Schilling ist da und die Hinweistafel „Luftschutzkeller“, das schwarze Kreuz am Kreisverkehr, die Bahnhöfe von Kierling und Weidling und die Trafik. Alle erinnern sich an die stolzen Löwen an der Schleuse, an den alten Autobus, der die Höhenstraße befuhr und an das Strandbad an der Donau. Ein VW Käfer darf nicht fehlen und die alten Wirtshäuser, die es alle nicht mehr gibt. Ach ja, und da lugt der schöne O.W. Fischer doch noch hervor, gleich neben dem Bud Spencer.
Die kleinen Freuden wie schwimmen oder rodeln, die Milchfrau, das langsame Verschwinden der Bauernkarren aus dem Stadtbild, das alles ist Allgemeingut und daher auch erzählenswert, und es kommt den Kindern der Smartphone- Generation wahrscheinlich wie im heutigen Urlaub am Bauernhof vor. Nicht vergessen sollte man, dass Kinder in der Nachkriegszeit eine Menge Pflichten hatten. Erdäpfel klauben zum Beispiel oder die Mutter vertreten, die „hamstern“ gegangen war Einer erzählt: „Ich hab dem Vater helfen müssen. Und 1942 hab´ ich dann gewusst, dass ich keinen Vater mehr hab“ Breiten Raum nimmt auch die Russische Besatzungszeit ein, da gab es traumatische Erlebnisse, die erst nach und nach erinnert werden. Die Freude am Erzählen ist den alten Leuten anzumerken, sind sie doch sonst immer allein (und einsam?) Es ist wie ein Spiel, das mit Worten und Bildern gespielt wird.
Im Klappentext heißt es:“ …den Lesenden öffnen sich in diesem Spiel Möglichkeitsräume für eigene Erinnerungen“ Genau das ist passiert. Die Rezensentin, die der gleichen Altersgruppe angehört, fühlt sich angeregt, in ihren eigenen Erinnerungen zu kramen obwohl sie nicht in Klosterneuburg aufgewachsen ist. Eine schöne Empfehlung für das Buch!
Elfriede Bruckmeier