Rezension
Maria Dippelreiter & Michael Dippelreiter (Hg.)
Kostbares Frachtgut
Von Österreichs Kulturarbeit im Ausland.
Verlag Wieser – Wissenschaft 2020, 178 Seiten
ISBN 978-3-99029-537-3
Die Dokumentation eines Kongresses über einen Politikzweig unter lauter literarischen Neuerscheinungen? Warum nicht, wenn er von solcher literarischer Güte ist wie dieses Buch, das – abgesehen von der besonders sorgfältigen Herausgeberleistung – in den persönlichen Bekundungen aller Autorinnen und Autoren in Denktiefe und Wortwahl über den hochrangigen Anlass hinaus von bleibendem Wert ist!
Das verwundert nicht, geht es doch um die vollkommene Ausprägung moderner Kulturförderung und -entwicklung durch das kluge Zueinanderführen hoher persönlicher Begabungen und Tugenden mittels staatlicher Informations-, Organisations- und Vorfinanzierungsfähigkeiten: Unterrichts-, Wissenschafts- und Außenministerium führen ihre höchsten Kompetenzen durch charismatische Superstrukturen grenzüberüberschreitend, völkerverbindend zur konkreten Realisierung (!) in Abertausenden von friedlich-fruchtbaren Lebensverläufen, Lebenswerken mit wohltätigen, friedenstiftenden Folgen zusammen. Dieses Ziel peilen alle hierfür Arbeitenden auf allen Ebenen praktisch für jede Entscheidung an: Stipendien, Lektorate, Kooperationen, Kolloquien, Ausstellungen, Konzerte, Lesungen …
Der Umwegnutzen vermiedenen Unwissens, umgangener Sackgassen, behobener Vorurteile durch Bildung, Empathie, Zusammenarbeit überwiegt vielfach den solchem Streben gewidmeten Einsatz! – Diese Kulturarbeit hat ihre Orte und Adressen: „Österreichische Kulturvereinigung“, „Österreichische Kulturinstitute“, „Österreichische Auslandskulturpolitik“, „Österreich-Kooperation in in Kultur, Kunst und Wissenschaft“, „Österreich-Bibliotheken“ … Und hehrste Namen: Alois Mock. Erhard Busek. Wolfgang Kraus. Bernhard Stillfried.
Außer dem Editorial und den Grußworten umfasst der verdienstvolle Tagungsband elf hochrangige Essays über Methoden und Programme der Auslandskulturarbeit. Vier davon seien als Beispiele erwähnt:
1.) Prof. Dr. Clemens Hellberg, ehemaliger Vorstand der Wiener Philharmoniker, ist ein erhellender Text zu verdanken (S. 32–45), der Entstehen und Aufstieg dieses singulären Klangkörpers schildert bis zu seiner Weltspitzenstellung als „Sonderbotschafter Österreichs“ und als „Goodwill Ambassador der Weltgesundheitsorganisation“ (WHO)! Diese zwölf Seiten beginnen am 7.5.1824 mit der Uraufführung unter Leitung des Komponisten des „opus summum“ aller Symphonien, der Neunten von Ludwig van Beethoven: Seither überblicken und durchdenken und durchleiden wir 200 Jahre „Höchstleistungen im Dienste einer allumfassenden Humanität“, die man – laut Joseph Haydn – „durch die ganze Welt versteht!“
2.) Prof. Dr. Alois Woldan schildert (S. 59 – 68) seine Wahrnehmungen als Slawist und österreichischer Lektor in der Sowjetunion 1978-1980: „Präventives Mißtrauen“ umgab seine Aufgabe, mit dortigen Studenten Übersetzungen ins Deutsche zu üben … „ „Bekannte, Freunde, Einladungen waren wesentlicher Teil des gesellschaftlichen Lebens – man konnte sich nur zuhause treffen … Und: Das Theater bot schon in den Jahren vor der Perestrojka einen bestimmten Freiraum aus Andeutungen und Anspielungen…“ Woldans erste Publikation war ein Bericht über die Saison 1979/80 an den Moskauer Sprechtheatern. – „Mein Lektorat in Wroclaw (600 km südlich Moskaus) hatte große Folgen für meinen späteren Beruf als Slawist … was ich von dort mitgenommen habe, konnte ich an Studenten in Salzburg, Passau und Wien vermitteln.“ (S. 68).
3.) Univ.Doz. Dr. Jaroslaw Lopuschanskyj, geb. 1964 in Galizien, ist heute Germanist an der Pädagogischen Universität Drohobytsch, Westukraine, Leiter der Österreich Bibliothek und Vorstand des Vereins für Österr.-Ukrain.-Zusammenarbeit. Sein Text (S. 147 – 166) bietet das lebendigste Bild des Werdegangs eines ukrainischen Jung-Germanisten: „Eines Tages kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel eine Ausschreibung zur Bewerbung um ein Forschungsstipendium in Österreich (S. 150). Diese Zuerkennung eines neunmonatigen Stipendiums am Institut für Slawistik der Universität Wien war einer der wichtigsten Wendepunkte in meiner … Laufbahn. … Ich traute kaum meinen Augen, dass ich damit das große Los gezogen hatte.“ (S. 151) Alle folgenden Schilderungen erweisen Herrn Lopuschanskyj als aufmerksamen akademischen Gast in Wien, der nur die allerfreundlichsten Unterstützungen seiner hiesigen Vorgesetzten und Partner erlebte.
4.) Der Wiener Dr. Bert Fragner, 1941–2021, war ordentlicher Professor für „Iranistik“ in Berlin und Bamberg, Gründungsdirektor des Instituts für Iranistik an der Österr. Akademie der Wissenschaften.–Nach seinem Orientalistikstudium an der Universität Wien war er zunächst Deutschlehrer an der Österr. Orientgesellschaft, Stipendiat an der Universität Teheran, Organisator des Deutsch-Unterrichts an der österr. Gewerbe-Schule-Teheran! – Der ungemein leistungsbereite Orientalistikstudent Fragner traf 1962 im Zuge seiner selbst durchgesetzten Persienreise auf das ihm dort hilfreiche Teheraner Österreichische Kulturinstitut, das zum Aufgabenbereich des in Kairo amtierenden Direktors Berhard Stillfried zählte: Dieser aber verfolgte ein prominentes Projekt im vorderen Orient: die Errichtung einer Gewerbeschule (oder Berufsschule) in Teheran! Das war der Export der in Österreich so erfolgreichen technisch/praktischen dualen Ausbildung in Betrieb und Berufsschule. 1963 suchte Bernhard Stillfried eine Lehrperson für diese neue Teheraner Gewerbeschule… Und die Schicksale des iranischen Gewerbe-Ausbildungswesens wie des hochbegabten Jünglings Bert Fragner nahmen ihren gemeinsamen Lauf: Ab 1964 gab Fragner mit einem Teheraner Stipendium samt 4-Wochenstunden-Verpflichtung Deutsch-Unterricht an der neuen dortigen Gewerbeschule mit Verlängerung samt iranischer und österr. Entlohnung („Wenn es Brei regnet, muss man einen Löffel dabei haben!“). Fragner konnte heiraten, das Ehepaar arbeitete gemeinsam im Iran am dortigen Schulprojekt – und Bert Fragner an seiner Wiener Dissertation! 1970 Promotion in Wien, 1985 ordentliche Professur in Berlin, nach 33 Jahren wieder in Wien … Das ist der Inhalt des eigentlichen Dankbriefs (S. 46 – S. 51) Prof. Dr. Fragners an den 2011 verstorbenen Sektionschef Dr. Bernhard Stillfried! Und dann verstarb Bert Fragner vor der Drucklegung des hier besprochenen Kongressberichts. Sein Beitrag endet mit den Worten: „Danke, Bernhard!“ Dieser hochherzige Zuruf zwischen zwei Vorverstorbenen durch zeitlose Weiten erinnert an die alte Gebetswortfolge „Von Ewigkeit zu Ewigkeit…“: Unversehens stehen wir im Quellglanz aller Kultur…
Fürwahr: Kostbarstes Frachtgut!
Matthias Mander (2024)