Rezension

Elfriede Bruckmeier

Kostproben

Erzählungen

Literaturedition Niederösterreich, St. Pölten 2020, 125 Seiten

ISBN 978-3-902717-53-5

 

Seit Jahrzehnten leitet Elfriede Bruckmeier den Verein für Kunst und Kultur Eichgraben, eine verdienstvolle Institution, deren Stellenwert in der heimischen Kulturlandschaft gar nicht hoch genug geschätzt werden kann - und ist selbst zur Institution, mehr noch, zur Instanz geworden. In ihrem neuen, schön gestalteten Band zeigt sich die bisher vor allem als Lyrikerin literarisch in Erscheinung getretene Autorin als gewiefte Erzählerin, die gekonnt der Dichotomie aus Dichtung und Wahrheit frönt. Autobiografisches verbindet sich mit Familiengeschichte - vor allem im ersten Teil („Erinnern“) -, anekdotische Funde wechseln mit erfundenen, aber möglich scheinenden Auffüllungen der Realität („Andichten“, „Erdichten“). Stilistisch überzeugt Bruckmeier mit knapper, pointierter Formulierkunst, die auch Hannes Vyoral in seinem trefflichen Vorwort zu Recht würdigt, inhaltlich spannt sich ein weiter Bogen aus dem eigenen Lebensumfeld bis zu Persönlichkeiten, denen jeweils besondere Bedeutung für sie zukommt. Das nimmt seinen Ausgang von der ersten Begegnung mit ihrem Mann, dem Maler Lothar Bruckmeier (1927-2016), dessen Bilder die Texte in diesem Band auf duftig-schwerelose Weise begleiten, schwingt weiter zum Großvater, der bereits das Gasthaus in Eichgraben betrieben hat, dem „Pascha aus Niederösterreich“ mit inniger Verbindung zur Dienstbotenmadonna im Wiener Stephansdom, bis zur rätselhaften Jugendliebe der Tante Karoline. Die Vertreibung aus dem Paradies der Kindheit bildet eine merkliche Zäsur: Hätte ich nicht inzwischen Lesen gelernt, ich wäre schier verzweifelt. Ihre empathische Reverenz erweist Bruckmeier auch dem israelischen Friedensaktivisten Abie Nathan, dem italienischen Stillleben-Spezialisten Giorgio Morandi, dem rumänisch-schweizerischen Künstler Daniel Spoerri und seinem Gartenprojekt in der Toskana, dem deutschen Dichter Matthias Claudius, einem argentinischen Tangomusiker: stets einfühlsam sich in die jeweilige Psyche hineindenkend, mit wenigen skizzenhaften Strichen ausreichend charakterisierend. Immer wieder gelangen wir an Schauplätze, die es längst nicht mehr gibt, etwa der vom Architekten Adolf Krischanitz entworfene Traisenpavillon in St. Pölten oder die Wiener Cafés Siller und Casapiccola. Die Geschichten im letzten Abschnitt belegen nochmals die Gabe, auf wenigen Seiten eine Biografie, eine Konstellation oder ein episodisches Geschehen zu entwerfen, wofür andere ganze Wälzer benötigten. Weniger ist eben mehr - wenn man die Kunst der Reduktion aufs Wesentliche so beherrscht wie Elfriede Bruckmeier. Solche „Kostproben“ machen schon Appetit auf mehr.

 

Rezensent: Ewald Baringer

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