Rezension
Claudia Taller
Liebe - Ein Trauma geht seinen Weg
Roman
Verlag Nina Roiter
ISBN 978-3-903250-43-7
Die erste Frage, die sich der Rezensent stellt, wie viele Titel für Bücher mit „Liebe“ sind überhaupt noch frei verfügbar? Aber das ist die Frage, die die Autoren für sich klären müssen. Die zweite Frage und die ist schwerwiegend, kann ein Buch, das derartig psychologisch belastet ist, literarisch rezensiert werden? Als Literat würde ich einmal die Story, deren laufende Entwicklung und vor allem den Schluss als unglaubwürdig bezeichnen oder zumindest einmal in die Nähe der Rosamunde Pilcher rücken. Das darf aber nicht passieren, denn das Buch ist doch ganz anders. Da ist einmal die Sprache, die sich von üblichen Liebesromanen deutlich abhebt und unterscheidet. Dann ist weiters die Wahl der Erzählperspektiven. Die Autorin lässt ihre Protagonisten getrennt die Geschichte erzählen. Dabei ergeben sich reizvolle und differenzierte Betrachtungsweisen. Die Schilderung aus der Sicht der Hanna ist so deutlich anders, auch sprachlich, als die Erzählung des Edmund. Es ist nicht so sehr die Verwendung einer „typisch“ männlichen oder fraulichen Ausdrucksweise (das auch, aber nicht so ausgeprägt), sondern die letzte Distanziertheit vom Geschehen. Hanna ist zwangsläufig als Mutter und Liebende – warum eigentlich zwangsläufig – welchem Klischee fällt da der Rezensent zum Opfer – anders involviert als Edmund. Dieser kann sich jederzeit (und macht es auch ausgiebig) in sein Trauma flüchten. Da wird es für den literarischen Rezensenten neuerlich schwierig. Wo endet die Psychiatrie (tatsächlich und wörtlich), wo beginnt die Literatur? Ansätze einer literarischen Komponente im Alltag der Baumgartner Höhe sind in einer sich anbahnenden Beziehung zu einer Therapeutin erkennbar, die aber ihrerseits konsequent und professionell abgeblockt wird. Das wären interessante literarische Schmankerln, erkennbar, wenn Edmund an der Vorliebe der Therapeutin für Herrenhemden eine fast fetischistische Hinwendung findet. Ob er es schafft, sein Vorhaben, diese Vorliebe auch seiner Hanna einzureden, bleibt ungesagt. Es wird zwar überlegt, doch fehlt die spätere Ausführung. Auch weil die Story einen ganz anderen Verlauf nimmt.
Es ist natürlich für eine junge Frau ein „Hammer“, wenn ihr der Freund nach kurzer Zeit der Bekanntschaft mitteilt, dass er zwei Menschen umgebracht habe. Ein Buch mit diesem Satz zu beginnen, zeigt vom großen Mut der Autorin. Das führt dazu, dass dieses Geschehen natürlich nicht nur im Zusammensein, im Leben von Hanna und Edmund, eine Rolle spielt und sie dem nie mehr auskommen werden (auch den angedeuteten Schlussfolgerungen entgegen), sondern auch im Plot, in der Geschichte ständig zwischen den Zeilen gefragt wird. Sowohl vom Leser als auch von der Autorin. Klar, in der Landwirtschaft ist es üblich, dass die Kinder mit den landwirtschaftlichen Maschinen hantieren, Traktoren in Betrieb nehmen und Unfälle passieren. Der Rezensent weiß aus eigener beruflicher Erfahrung, dass die Gefährdungen für Menschen in der Land- und Forstwirtschaft ungleich höher sind als im Bergbau! Daher ist das Geschehen als solches nicht verwunderlich, die Reaktionen und Folgewirkungen liefern der Autorin nunmehr den Stoff, das tragische Geschehen vor 13 Jahren im Leben des Edmund einzufügen. Es ist spannend zu lesen, wie vom Umfeld des Jungen (Eltern, Schule) versucht wird, die unmittelbaren Auswirkungen fernzuhalten. Bis hin zu Namensänderungen, doch bleibt dies alles (und vieles andere auch) letztlich wirkungslos. Das Geschehen holt Edmund unerbittlich ein. Dass dies im Zusammenhang mit der Ziffer acht passiert, ist wieder das Geheimnis der Psychologen. Wobei die Acht ein auslösender Teil des Geschehens ist, der andere, den Rezensenten verstörender Auslöser ist der Wunsch des achtjährigen Sohnes nach einem Fahrrad zum Geburtstag. Dieser Wunsch löst in Edmund wieder alle Folgen des Traumas aus, doch welch ein Unterschied zwischen Tretroller und Kinderfahrrad nun den neuerlichen Ausbruch tatsächlich auslöst, ist ein psychologisches Geheimnis der Autorin. Der „normale“ literarische Konsument wird da fast ein wenig überfordert. Doch damit nicht genug.
Die Lösung aller Konflikte, Probleme usw. wird in Flucht gesucht. Das mag für den Psychologen ausreichend sein, für den Literaten ist es verstörend. Umso mehr als dies für Hanna auf dreieinhalb Zeilen und für Edmund mit knapp drei Zeilen „erledigt“ wird. Erledigt ist damit gar nichts! Sondern nur in fremde Länder und auf ferne Kontinente verlagert.
Rezensent: Hans Bäck