Rezension

Gerhard Ruiss

Liebe, liebste, liebes, liebstes

Andichtungen

Literaturedition Niederösterreich

ISBN 978-3-902717-57-3

 

„Es ist angedichtet“

Liebhaber schöner Bücher werden es mögen! Das Erscheinungsbild, die rote Farbe, die sogfältige Bindearbeit erfreut das Auge. Und die Idee, die Gedichte in Kapitel nach den Anfangsbuchstaben derselben zu sortieren ist nach meinem Wissensstand einmalig. Das macht dann 26 Kapitel minus 3, denn zu Q, X, und Y fällt auch einem Sprachkünstler nichts ein.

Lyrikfreunde werden sich ebenfalls freuen, aber gibt es die überhaupt noch? Lyrik ist leider ein Nischenprodukt, daran kann auch die Popularität eines vielbepreisten Jan Wagner nichts ändern. Noch zwei Generationen vor der heutigen hat man Schüler mit dem Auswendiglernen ellenlanger Balladen gequält, inzwischen werden Gedichte in den Schulen nicht einmal mehr gelesen, geschweige denn interpretiert. Leseliste zur Maura? Ach nein! Und Aufsatzthemen sind oft das Verfassen von Werbetexten oder Bewerbungsschreiben – Vorbereitung auf das Leben also…

Dass Gerhard Ruiss, unermüdlich tätig in Sachen Literatur und Literaten, noch Zeit findet zu Ruhe, Beobachtung, Kontemplation, Gelassenheit ist bemerkenswert. Seine Gedichte können teilweise der konkreten Poesie zugerechnet werden, aber nicht nur. Dieses hier eher nicht:

Business njet

Tritt einer ein für ein menschenrecht

Muss er wissen

Wovon er lebt

und manchmal reimt sich auch etwaswas. Leutselig wendet sich der Dichter an alle: an liebe Menschen, Geliebt, Geschätzte, aber genauso thematisiert er Gegenstände, Situationen, Begebenheiten, Politisches und natürlich auch eigene Befindlichkeiten. Alles wird ihm zum Thema: der Ausblick oder eher Nichausblick aus dem Altersheim z.B., oder „Gern gesehen“ -  das ist wohl autobiographisch. Auf : „An Gottes Segen ist allen gelegen“ folgt als „Watschen“:

was aber dann wirklich nicht mehr geht

ist es erst einmal so weit

und wird

bei messen in kirchen

applaudiert

wird bald auch

zugabe gefordert

oder nicht

weil es keinen

interessiert

Jeder kann sich sein Lieblingsgedicht aussuchen, z.B. dieses:

Weil es aus gründen der fürsorglichkeit geboten ist

zu seinem hund, den man vor dem supermarkt am lichtmast anbindet

wo der zeiungsverkäufer angelehnt steht

sagt man

ich bin bald wieder zurück

weil er jedes wort versteht

zum zeitungsverkäufer, der beiseite rückt und

grüßt

sagt man nichts

der versteht einen sowieso nicht.

Und noch eine Kostprobe:

Mit wem du unterwegs bist

das kind

das neben mir sitzt

habe ich nur zufällig

das iphone nicht

über das ich wisch

in das ich tipp

das habe ich mir gewünscht

und habe ich gekriegt

 

Ein Gedicht zur Kulturhauptstadt 2024:

einhalt

in ischl

ein grasl

ein büschl

ein rastl

ein stückl

ein bissl

ins grasl

zum himml

ein blickl

ein graschl

im büschl

ein nickl

Jedes Gedicht hat einen Vordergrund und einen Hintergrund, man möge sich die Zeit nehmen und in diesem „Roten Büchl“ lesen, jeden Tag ein paar Gedichte. Und zum Beweis, wie anregend die Lektüre ist:

manches verstehe ich

auch beim dritten lesen nicht

(einmal leise, zweimal laut,)

aber man muss ja nicht alles

verstehen

Elfriede Bruckmeier

 

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