Rezension
Mira Lobe / Sabine Rufener
Madeleine und der Angler
Verlag Jungbrunnen, Wien 2022, 32 Seiten
ISBN 978-3-7026-5968-4
Wieder einmal begleitet Madeleine ihre Tante Charlotte in die große Kirche, wo die Tante in einer Kapelle eine Kerze anzündet.
Unterdessen wandert Madeleine in der Kirche umher, bis sie, wie verabredet, die Tante am ersten Pfeiler links vom Eingang treffen wird. Aber heute kommt die Tante nicht – und durch das offene Portal glitzert der Fluss in der Sonne. Auf einmal steht Madeleine unten am Fluss hinter einem der Angler, fängt an, mit ihm zu reden, und traut sich schließlich, eine Bitte an ihn zu richten: Sie will auch einmal auf der Mauer sitzen und die Angel ins Wasser halten.
Der Angler gibt Madeleine seine zweite Angel mit einer künstlichen Fliege - denn ein lebendiger Wurm täte Madeleine leid - und wirft mit Schwung die Leine für sie ins Wasser.
Madeleine hält die Angel mit beiden Händen und rutscht auf der Mauerkante ein Stück weiter nach hinten. Manche Leute oben auf der Brücke wundern sich über das kleine Mädchen, aber Madeleine freut sich, dass sie ganz allein hier sitzen kann.
Ein Junge redet sie an. Ob sie ihm einen Fisch schenken würde? Madeleine lehnt ab. Das wäre doch dann IHR Fisch.
Ob sie ihn überhaupt totmachen könnte, den Fisch, fragt der Junge.
Aber so weit hat Madeleine gar nie gedacht. Einen kleinen Fisch würde sie wieder ins Wasser werfen …
Der Junge lässt nicht locker. Wenn er ihr einen großen Fisch totmacht, würde sie ihm dann die Hälfte geben?
Da vergeht Madeleine die Lust zu angeln. Sie gibt dem Angler die Angel zurück und rennt zur Kirche.
Tante Charlotte kommt ihr aufgeregt entgegen. Sie ist entsetzt, dass Madeleine geangelt hat. „Versprich mir, dass du nie wieder …“
Aber die Kirchenglocken, die nun zu läuten beginnen, sind „zum Glück“ so laut, dass Madeleine kein Wort mehr verstehen kann.
Die sanften Illustrationen lassen viel Platz zum Staunen, Schauen, Warten, In-sich-Hineinhorchen. Und der Text lässt viel Platz zum Nachdenken und Miteinander-Reden.
Wird Madeleine in Zukunft weniger unternehmungslustig und neugierig sein, wird sie ein „artiges, angepasstes und für die Erwachsenen bequemes“ Kind sein?
Die freundlich-lauten Kirchenglocken haben im Augenblick verhindert, dass Madeleine ein Versprechen abgibt, das sie einengen und hemmen könnte. Aber sie wird auch lernen müssen, sich in die Sorgen ängstlicher Erwachsener einzufühlen, sich auf ein Miteinander statt nur ein Nebeneinander einzulassen.
Ich empfehle dieses Bilderbuch für Kinder ab fünf Jahren und einfühlsame Vorleserinnen, die ein Gespräch beginnen über alle Fragen, die der Text auf so spannende, eindrückliche Weise offen lässt.
Lene Mayer-Skumanz