Rezension
Jude Stéfan
Mit dem Gleichmut eines Schwans, der sich den Hals flöht
Gedichte und Prosa. Aus dem Französischen von Hans Raimund
Löcker Verlag 2023, 108 Seiten
ISBN 978-3-99098-156-6
Nicht nur der titelgebende Schwan und dessen Gleichmut treten in Jude Stéfans Gedichtband in Erscheinung, es sind noch eine Zahl anderer Tiere, die darin einen Auftritt erhalten. Und an mancher Stelle verschwimmt dabei die Grenze zwischen Mensch und Tier. So heißt es etwa in dem Gedicht HundMensch: Wie ein verwundeter Hund flieht man sich selbst / drei Tage lang blutend heult man / Entsetzen verbreitend auf seinem Weg berauscht man sich (11). Stéfans Verbindung zum Tier ist von Sanftheit geprägt. Das Gedicht Tiere (49) zeugt davon. Am Schluss des Bands findet sich auch ein Brief an seinen Hund, der mit den folgenden Worten beginnt: Nie habe ich dich angekettet (94). In Stéfans Lyrik wird vor allem aber eine Sehnsucht danach spürbar, sich die Gelassenheit der Tiere anzueignen und dem menschlichen Los zu entkommen.
Jude Stéfan ist das Pseudonym von Jacques Dufour. Der Vorname Jude verweist auf den Roman „Jude the Obscure“ von Thomas Hardy, Stéfan ist eine Reverenz an Stéphane Mallarmé sowie an die Figur des Stephen Dedalus von James Joyce. Stéfan hat zeit seines Lebens über zwanzig Gedichtbände veröffentlicht. Im Brotberuf war er Lehrer. Hans Raimund hat nun erstmals eine Auswahl dieser Gedichte ins Deutsche übersetzt. Neben den Gedichten haben auch Briefe im Band Eingang gefunden, Prosa und Poesie reichen sich hier die Hand. Die Briefe richten sich an Rimbaud, an Christus, an Miss Hardwick, und wie bereits erwähnt, an seinen Hund.
Für Stéfans Stil ist ein eleganter sprachlicher Ausdruck charakteristisch. Er überließ kein Wort dem Zufall. Auch die „Verwendung eines mittelalterlichen oder noch älteren Wortschatzes“, wie Hans Raimund im Nachwort schreibt, gehörte zu Stéfan. Das entsprach nicht der Mode seiner Zeit. Doch Stéfans Werk wollte widersprechen, der Mode, der Welt, den Frauen, und besonders auch dem Tod. Seine Gedichte sind abstrakt, schwebend, aber auch nicht allzu hochsteigend, um nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Stéfan befielen weder Überschwang noch großes Grauen. Das Dunkle mag zwar hie und da Verzweiflung hervorrufen, doch es ist kein Desaster. Es ist allgegenwärtig, also gilt es, sich mit ihm zu arrangieren, in einer Traurigkeit Virginia Woolfs / in den Weindünsten gestreift / von blinden Vögeln nachts / auf der Fähre (61).
Stéfan beschrieb die Dinge nicht, sondern blickte „bloß“ hin, in einer Art trotzigen Gelassenheit, die seine Wahrnehmung meist schärfte. Denn er entdeckte dabei viel.
Angelika Stallhofer (2024)