Rezension
Simon Konttas
Nebel auf den Feldern. Roman in sieben Erzählungen
Sisyphus 2025, 208 Seiten
ISBN 978-3-903622-04-3
„Solange ich nur endlich herauskomme …“
Gleißendes Sonnenlicht in den Mittsommernächten in einem Dorf irgendwo in den endlosen Wäldern Finnlands wirft einen Spot auf das hoffnungslose Treiben und Leiden gescheiterter und nicht im Leben angekommener Menschen. Nicht zufällig ist der Leser an die archaische Welt in Timo K. Mukkas Roman Maa on syntinen laulu (dt.: Die Erde ist ein sündiges Lied, 1964) und an die kongeniale Verfilmung (1973) in der Regie von Ranni Mollberg erinnert.
Zwischen der defätistisch-sadistischen Aufforderung „Ja, lauft nur um euer wertloses Leben“ – ähnlich der Charakterführung und Sympathielenkung bei Chester Himes – und dem biblischen Heilsversprechen „Siehe, ich mache alles neu“ verfangen sich in einem Geflecht von sieben Erzählungen mehr oder weniger gescheiterte Existenzen in einem Sittenbild aus Einsamkeit, Drogenmissbrauch und Alkoholsucht. Sensibel und akribisch beschrieben, agieren die Protagonisten in einem ganz gewöhnlichen und banalen Alltagswahnsinn. Allesamt missglückte Persönlichkeiten, getretene Kreaturen und Sonderlinge, die in ihrem Alleinsein, ihrer Verletzlichkeit, religiöser Engstirnigkeit und Bigotterie, Gewalterfahrung und krankhaften Selbstmitleid zum Trotz unauflöslich und ausweglos miteinander verbunden sind, und nach ihrer jeweils eigenen Bestimmung und Identität und dem Sinn ihres kläglichen und als wertlos empfundenen Lebens suchen.
In der emotionalen Hitze der weißen Nächte, enthemmt vom Alkohol, getrieben von sexueller Gier und gequält von zermürbender Schlaflosigkeit, geblendet durch die unerträgliche Helligkeit der Mittsommernächte, entfaltet sich inmitten der dunklen Wälder eine scheinbar ländliche Idylle, die eine sinnstiftende Gemeinschaft nur vorgaukelt: Kirche und Nachbarschaft, Feld und Acker, aber mit einem seltsam seinen Atem bedrückenden Gefühl verlassener Heimatlosigkeit. In Wirklichkeit ist es ein elendes Leben in einem vergifteten Klima sozialer Kontrolle selbsternannter Sittenwächter, bigotter Vetteln, einsamer Jungfern und armseliger Vaterfiguren. Ewige Langeweile. Eingeklemmt und erstarrt zwischen pubertärer Sehnsucht und den rigiden Ansprüchen der dörflichen Gemeinschaft.
Der Roman, der seinen Raum im schroffen Gegensatz von Licht und Dunkel, Gut und Böse findet, nimmt sich viel Zeit für Studien der einzelnen Charaktere, um mit fein nuancierten Strichen für jede einzelne Figur eine vermeintlich individuelle, aber schließlich dennoch in einer Sackgasse endende Entwicklung zu zeichnen. Er greift die Beziehungslosigkeit und Vereinzelung der sich oft sehr nahestehenden Menschen auf, um letztlich zu zeigen, wie fern und fremd sie alle einander sind.
Dabei kennt der allen handelnden Personen innewohnende Wunsch, ob erträumt oder bisweilen auch in der Realität vollzogen, nur eine einzige Chiffre für die unerträgliche Belastung: weg von da. Weg von da! Fliehen aus dieser Vorhölle des Lebens, ausbrechen und sich befreien vom Gefühl, am falschen Ort zu leben.
In einer abschließenden und verbindenden Katharsis ohne Erlösungsaussicht für alle in der Erzählung entwickelten Personen wird bei einem letzten gemeinsamen Aufeinandertreffen der Gescheiterten die Ausweglosigkeit endgültig festgeschrieben. Absurderweise erfährt allein der an Schizophrenie erkrankte Paavo seine Einlieferung in die Psychiatrie als realen Befreiungsakt: Solange ich nur endlich herauskomme.
Im Gegensatz zur Härte und kompromisslosen Bild- und Filmsprache Ranni Mollbergs, seiner vorgeführten Derbheit und Kälte, bedient sich Simon Konttas einer sprachlichen Leichtigkeit und einem Feingefühl, als wollte er seine filigranen und oft lebensuntüchtigen Menschen zärtlich vor der rauen Welt beschützen, zugleich aber auch den Leser in der Art heiterer Hoffnungslosigkeit hinters Licht führen.
Axel Karner (2025)