Rezension
Franco Fortini
Nichts ist sicher, aber schreibe – Nulla é sicuro, ma scrivi
Ausgwählte Gedichte italienisch / deutsch. Übersetzt von Hans Raimund.
Edition pen LÖCKER 2023, 103 Seiten
ISBN 978-3-99098-163-4
Franco Fortini lebte von 1917 bis 1994. Er wurde in Florenz geboren. Sein Vater war Jude, deswegen nahm er später zu seiner Sicherheit den Namen der katholischen Mutter an. 1941 wurde er in die Armee einberufen. Er floh in die Schweiz und trat den Partisanen von Valossola bei. Ab 1947 arbeitete er als Journalist, veröffentlichte erfolgreiche Reiseberichte und übersetzte literarische Werke aus dem Französischen, Englischen, Deutschen. „Ich fixiere Verse aus Zement und Glas, / in denen Schreie und Wunden eingemauert waren und Teile / auch von mir, die ich überlebe“. („Beim Übersetzen von Brecht“, S. 27).
Später erhielt er einen Lehrstuhl für Literaturkritik in Siena. 1963 erschien ein Band POESIE bei Suhrkamp, übersetzt von Hans Magnus Enzensberger. Er war ein politisch engagierter Mensch und galt lange Zeit als politischer Dichter. Seine Gedichte sind Dokumente seiner Biographie, sie enthalten sein unruhiges Leben, auch wenn er weiß: „Die Poesie verändert nichts, nichts ist sicher, aber schreibe“ (S. 27).
Auch wenn politische Ereignisse oft seine Themen beherrschen, geht seine Dichtung weit darüber hinaus zu seinem persönlichen Fühlen und Denken, zu seiner persönlichen Wahrheit. Julian Barnes schreibt: „Kunst ist das Flüstern der Geschichte, das durch den Lärm der Zeit zu hören ist“ („Der Lärm der Zeit“). Die subjektive Erfahrung wird überschritten, hinterlässt aber ihre Schatten, sodass die Gedichte wie eine dramatische Verbindung von Leben und Schreiben sind. „Ich, der ich schreibe, / weiß, dass es noch einen anderen Sinn gibt … weiß, dass hier drinnen im Vers fest bleibt / das Wort, das du hörst oder liest / und gleichzeitig fortfliegt, dorthin / wo du nicht mehr bist, wo hingelangen zu können, / du dir nicht zutraust“ („andere ars poetica“, S. 19). Das Wort als das Innerste, Persönlichste und gleichzeitig fliegt es fort in fremde Gebiete, der Schreibende hat keinen Einfluss darauf.
Die Gedichte beruhen auf tragischen Ereignissen, Erlebnissen, Erfahrungen, getrieben vom Weltgeschehen, auch von der Vergangenheit und den Erinnerungen. Aber all dies steht Seite an Seite, Zeile an Zeile mit der fast schmerzend schönen Beschreibung von Landschaft und Natur. Denn dies alles ist Leben, und die Freude ist die kleine Möglichkeit des sinnlichen Wahrnehmens, dessen wir uns bewusst sind. „Ich will wissen und ich weiß, dass die einzige Kraft / die ganz kurze Freude ist, / die sinnlich wahrnehmbare Gewissheit, die nach allem kommt“ (S. 67). Schließlich heißt es, „dass es Mitleid gibt mit der Zukunft, / mit dem endlosen Leid, das / inmitten derartiger Pracht ein Entsetzen / -wie ein Tier jählings aus dem Nichts – / jenem Elenden verkündete, der vor Glück, / das die Tränen freisetzten, zitterte. / Hier stehe ich bei ihm, hier nun tröste ich ihn…“ Dieses Gedicht mit dem Titel „Diese Zeilen“ (S. 91) endet mit den Worten „da war die ferne Aparita Hoffnung, / derweil im frühen Wind schon trieben diese Zeilen“. Abermals verwendet Fortini das Bild der fortfliegenden Worte, die, auch wenn sie nichts verändern- aber wer weiß das so sicher – landen irgendwo.
Elisabeth Schawerda (2024)