Rezension
Doris Kloimstein
Noahs Fest
Eine Art Stundenbuch
Fachstelle Bibelpastoral der Diözese St. Pölten, 2021, 98 Seiten
ISBN 978-3-99103-021-8
Völlig zu Recht vermeiden die Herausgeberschaft und die Kuratorinnen die Benennung ‚Anthologie‘ für dieses bemerkenswerte Druckwerk und typisieren es treffender als ‚Eine Art Stundenbuch‘. Ein solches war in Vorzeiten bekanntermaßen ein bebildertes Gebets- und Andachtsbuch für Laien mit vornehmlich biblischen Texten. Das Anthologische in ‚NOAHS FEST‘ sind die sehr unterschiedlichen literarischen und künstlerischen Beiträge verschiedenster Persönlichkeiten, die sich unter dem Motto ‚10 Tage für die Bibel‘ im Herbst des ‚Bibeljahres‘ 2020 im Stift Seitenstetten zusammengefunden hatten, um in der Art eines Skriptoriums Beiträge zum ihnen gestellten Thema ‚Noahs Fest‘ zu erstellen. Wobei der Fokus weniger auf die Sintflut per se gerichtet war, sondern auf das Verhalten von Noah (in Gen 9,20), als alles überstanden war. Eine doppelte Vision stand den im Stift Versammelten vor Augen: In Zeiten der bestehenden Coronaeinschränkungen lag der Vergleich der biblischen Arche mit einer Quarantäne von heute auf der Hand und Noahs dritte Taube - in der Legende von Stefan Zweig - diente als Metapher für die verbreitete Sehnsucht, endlich wieder frei von pandemiebedingten Ein- bzw. Beschränkungen zu sein.
Ein Stundenbuch war kein Lesebuch mit durchgehender Handlung. Es bot vielmehr in jedem seiner Abschnitte eine in sich geschlossene Leseeinheit. So auch in NOAHS FEST. Hier allerdings erst ab Seite 27, denn davor findet man – ungewöhnlich umfangreich, aber hilfreich für das Verständnis, was mit diesem Buch beabsichtigt wurde – mehrere Einführungen. Es empfiehlt sich dringend, diese zu lesen. Neben Vorworten der Herausgeberschaft, der Redaktion und den drei Kuratorinnen, sollte man den aus der Einheitsübersetzung stammenden Text (Gen 5,1 bis Gen 10,32) studieren, der im Anschluss von der Theologin Dr. E. Birnbaum vertiefend beleuchtet wird. Das eigentliche ‚Fest‘ von Noah besteht daher im unverzagten Neuanfang nach der Katastrophe, seine Pflanzung eines Weinbergs stellt den ersten kreativen Schöpfungsakt des Menschen auf der ihm von Neuem übergebenen Erde dar. Ein Festakt gewissermaßen. Daran orientieren sich die anschließenden literarischen und künstlerischen Beiträge.
Zunächst jener Autoren, die im Stift Seitenstetten anwesend sein konnten. Doris KLOIMSTEIN hinterfragt in einem kurzen Essay unter anderem augenzwinkernd, ob Noah für Libellen eine Art Terrarium auf die Arche mitnehmen musste, Christian TEISSL beschließt sein Diptychon mit der Feststellung, (dem Sinne nach!) ‚alles was welkt, um neu zu erblühen, hat Noah zum Fest geladen.‘ Hans BÄCK führt ein ausführliches Interview mit Sem, Noahs Sohn, in dessen teils witzigem, teils sarkastischem Verlauf es sich herausstellt, dass es heute nicht viel anders zugeht als damals. Bis heute sind wir alle ‚nach der Sintflut‘, nur die Zerstörungsmethoden sind anders geworden. Walter SIESS BERGMANN führt das Fest Noahs in deftiger Prosa und drastischer Deutlichkeit vor Augen. Claudia TALLER wiederum stimmt sanfte Freudengesänge für die Erde, die Luft, das Wasser (es erquickt trotz gehabter Sintflut letztlich Seele und Geist) und das Feuer an. Josef Paul BENEDERs duftig-knappe Lyrik befasst sich mit der Schrift. Exegese ist nicht alles.
Der nächste Teil des ‚Stundenbuches‘ zeigt die malerischen Werke der bildenden Künstler/innen (Maja POGACNIK, Margret AMBICHL, Alexander EGGENHOFER, Svava E. EGLISON, Markus REITER, Renate MINARZ und Elidia KREUTZER), die die Sintflut, den Tanz, das festliche Feiern, die Freude, den Ackerbau u. ä. bildlich zum Ausdruck bringen.
Da die Coronapandemie einige Teilnehmer gehindert hatte, im Stift dabei zu sein – ihnen wird im Vorwort der Kuratorinnen besonders gedankt –, sind deren Beiträge in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst worden.
Eva JANCAK lässt eine Mathilde das Bild der Arche bei der Einschiffung der Tiere betrachten und darüber sinnieren, dass die Archebesatzung nach vorübergegangener Sintflut leicht feiern konnte, während sie, Mathilde, heute, trotz aufmunternder Worte des Bundeskanzlers, noch lange keinen Grund zum Feiern sehe, weil rundherum alle Feste abgesagt, die Maskenpflicht vorgeschrieben und Einschränkungen verordnet worden sind. Magdalena TSCHURLOVITS kommt in ihrem Essay zum Schluss, dass Noah, in Anbetracht der Probleme und Strapazen mit Tieren und Menschen auf der Arche, heiliggesprochen werden müsste, obwohl er – hatte er die Unmengen an flüssigen und festen Verdauungsresten ins Meer entsorgt? – als erster Umweltsünder angesehen werden müsste. Margit JORDAN wiederum beschreibt die Arche in feiner Poesie als Zeitboot, welches „in fernen stillen räumen landet“, „…wo noahs feste uns aus engen tagen führen …“
Nach einem Acrylbild von Paul ROBAS (ebenfalls an der Teilnahme verhindert) schließt das Buch mit den einzelnen Biografien, einer stimmigen Fotografie eines ‚Skriptoriums‘ in Seitenstetten und dem Dank an alle, die organisatorisch, finanziell und künstlerisch am Werden dieses Buches beteiligt waren.
Ein in jeder Hinsicht lesenswertes Werk mit einer fundierten Einführung, die selbst für bibelsichere Christen einige neue Gesichtspunkte zu diesem Abschnitt der Genesis bringen.
Das Coverstatement auf der Rückseite („In Wahrheit war die Sintflut der erste Lockdown“) wird jedem einleuchten, der sich diesem ‚Stundenbuch‘ gewidmet hat.
Michael Stradal (November 2021)