Rezension
Mark Allen Klenk
Oh, das bin ja ich
Erzählungen über Sinn und Leben.
edition PEN Löcker, Wien 2022, 124 Seiten
ISBN 978-3-99098-118-4
Rastlosigkeit, Abschied, Aufbruch und dazwischen: Trauer oder Triumph, je nachdem welche Grenze überschritten wurde. Das sind die Themen, die sich durch Mark Allen Klenks Erzählband Oh, das bin ja ich (2022) ziehen und sowohl autobiographisches Material als auch fiktive Stoffe strukturieren. Ob wir dem alter ego des Autors zum ersten McDonalds-Restaurant auf russischem Boden folgen oder den Träumen eines Migrantenkindes, das die Grenze zwischen xenophoben Alltag und Phantasiewelt überschreitet: Immer steht im Textzentrum das Bewusstsein der Vergänglichkeit, die Ahnung der sich anbahnenden Veränderung. Und auch wenn Veränderung für Klenk nur selten ein Grund zur Trauer ist, so sind die emotionalen Färbungen seiner Texte komplex. Fast immer kann seinen Erzählungen ein positiver Grundton attestiert werden, der jedoch nie zu grellem Optimismus verflacht.
Ein besonders gelungenes Beispiel von emotionaler Komplexität ist die autobiographische Erzählung „Wanderlust und andere Geheimnisse.“ Die Erzählung variiert den Topos des „Abschieds von der Jugend“ und zeigt den Protagonisten in einem nur scheinbar luxuriösen Dilemma. Das unbeschwerte Leben, das nicht nur seine Fortsetzung finden, sondern sogar in der „Verwirklichung des American Dreams“ (40) münden könnte, wird von der Rastlosigkeit des Erzählers durchkreuzt. Er möchte nichts wie weg von „den Maisfeldern [s]eines Geburtsorts […] im herrlichen, schönen Colorado“ (44) und damit auch nichts wie weg von der begehrenswerten Anna, mit der er seit sechs Monaten eine Beziehung führt. Morgen wird er ihr sagen, dass die gemeinsame Zeit ein Ablaufdatum hat. Diese konfliktbelastete Szene spart die Erzählung jedoch aus. Stattdessen endet der Text mit einem Verweis auf Charles Baudelaires Gedicht L’Etranger, indem die vorbeiziehenden Wolken als Symbol der Heimatlosigkeit fungieren. In Klenks Erzählung betrachtet der Ich-Erzähler die „Wattebällchen-Wolken“, die sich für einen Moment in eine „Engelsschar“ (47) zu verwandeln scheinen. Heimatlosigkeit, die bei Baudelaire Entfremdung bedeuten mag, wird bei Klenk etwas Positives, vielleicht sogar eine Verheißung, der es sich zu öffnen gilt – selbst wenn das einen Abschied bedeutet.
Meist bedient sich Klenk klarer narrativer Techniken. Die Geschichte werden in der Rückschau von einer handelnden Figur oder von einer anonymen Erzählinstanz erzählt. Die kurze Erzählung „Jakub und der Brief von Ana“ verkompliziert allerdings diesen Befund. Hier wechseln sich beide Erzählperspektiven ab. Im Haus seiner Großmutter findet Jakub einen autobiographischen Bericht seiner Großmutter, der von einer Freundschaft zu einem Mädchen über die tschechoslowakisch-österreichische Grenze hinweg berichtet. Kaum, dass Jakub den Bericht, der den Großteil der Erzählung ausmacht, zu Ende gelesen hat, entdeckt er einen Jungen, der an der Stelle sitzt, wo vor Jahren die Freundin seiner Großmutter gesessen ist. Er winkt ihm zu, der Junge winkt zurück und die Geschichte einer grenzüberschreitenden Freundschaft kann sich wiederholen, vielleicht sogar ad infinitum. Gekonnt setzt Klenk hier das (postmoderne) Stilmittel der mis-en-abyme ein und lässt seine Erzählung der Erzählung in der Erzählung folgen. Doch alle technische Eleganz kann nicht übertünchen, dass es auch in „Jakub und der Brief von Ana“ wieder eine Grenze ist, die das Leben der Figuren determiniert und die immer nur zeitweilig – etwa durch ein Winken – überwunden werden kann.
Klenk ist Amerikaner und lebt seit 1998 in Österreich. Er schreibt sowohl in deutscher als auch englischer Sprache. Der linguistische und kulturelle Transfer, der sich aus dieser Zweisprachigkeit ergibt, prägt Inhalt und Stil seiner Erzählungen – etwa wenn Leser:innen eingeladen werden, sich den Stausee am Horsetooth Reservoir in Colorado als geflutetes Kaltenleutgeben vorzustellen. Es sind diese Beobachtungen, die zusammen mit den Thematiken der Erzählungen zum Lesen und Nachdenken einladen. Und zum Abgleichen der eigenen Abschiede mit denen in Oh das bin ja ich.
Johannes Wally