Rezension
Etela Farkasová
Beflügelt
Roman
Anthea Verlag 2024, 292 Seiten
ISBN 978-3-89998-430-9
Eine Frau sucht nach einem Verlust Orte auf, die sie gemeinsam mit dem Verstorbenen gerne besucht hat. Langsam nur enthüllt Etela Farkasová, dass es sich dabei um einen Hund, einen Spaniel, handelte, dessen Tod die ohnehin psychisch labile Protagonistin vollkommen aus der Bahn zu werfen droht, zumal der Hund offenbar von einem Nachbarn vergiftet wurde, sich noch dazu ihre einzige Freundin von ihr abwendet und vollends dem Alkohol verfällt. Die Protagonistin vereinsamt immer mehr, kann auch ihrer Arbeit als Illustratorin kaum noch nachgehen. Schließlich schafft sie es, sich bei einer Psychiaterin Hilfe zu holen.
In Rückblenden und Erinnerungsfetzen entwickelt Farkasová das tragische Leben ihrer Heldin: von der Mutter aus der gewohnten Umgebung in Bratislava gerissen, erst nach Israel, dann in die USA versetzt, der geliebte Vater folgt erst Jahre später. Sie findet ihre Bestimmung in der Kunst, Malerei und Keramik, lernt einen Maler kennen und lieben. Die beiden heiraten, teilen ein Atelier. Es scheint, als hätte sich das Leben der Protagonistin, die namenlos bleibt, zum Positiven gewendet. Das Schicksal schlägt allerdings wieder zu, als sie auf der Suche nach einer Videokassette auf Filme und Fotos stößt, die ihren Mann bei pädophilen Handlungen zeigen. Der Prozess und die anschließende Scheidung sind äußerst belastend. Für einen Neubeginn zieht sie in ihre alte Heimat Bratislava. Nach dem Verlust des Hundes gründet sie, unterstützt von der Psychiaterin, einer Spaniel-Züchterin und der Verkäuferin eines Tierwarengeschäfts, eine neue „Familie“, bestehend aus einem traumatisierten Hund, einem ausgesetzten Kätzchen, einem hässlichen Welpen und zwei Wellensittichen. Auch eine neuerliche Annäherung an die Freundin gelingt.
Das eigentliche Thema Farkasovás ist aber die Weitergabe von Traumata an die nachfolgenden Generationen. Die Protagonistin versteht das Verhalten ihrer Mutter erst, nachdem sie beim Räumen der elterlichen Wohnung Briefe findet, aus denen hervorgeht, dass sie das Ergebnis einer Vergewaltigung im Konzentrationslager ist, ihre Mutter das Kind nicht austragen wollte, der Vater eigentlich der Stiefvater ist, der versprochen hatte, immer für beide da zu sein. Das Gefühl, nicht gewollt zu sein, hatte verheerende Auswirkungen auf das Leben der Protagonistin. Auch die neue Freundin hat an ihrem Schicksal zu tragen, die Tochter eines Nazi-Verbrechers zu sein. Etela Farkasová gelingt es, diese Ereignisse schlüssig und gut nachvollziehbar zu schildern. Sie findet für die Geschichte ein ungewöhnliches, versöhnliches, aber keinesfalls kitschiges Ende.
Die Sprache ist ruhig, unaufgeregt und sehr präzise, ohne falsches Pathos. Besonders am Anfang des Romans hätten Lektorat und Korrektorat etwas sorgfältiger arbeiten können: Die Zeitenfolge kommt mitunter etwas durcheinander. Einige recht sperrige Formulierungen dürften der Übersetzung geschuldet sein.
Wenn man bereit ist, sich mit dem unbequemen Thema auseinanderzusetzen und die geschilderten Ereignisse als Erklärung für die Schicksale vieler Menschen – nicht nur der Kriegs- und Nachkriegsgeneration – zu sehen, lernt man, weniger schnell mit Urteilen zu sein und mehr Empathie zuzulassen.
Sascha Wittmann (2024)