Rezension
Hilde und Richard Langthaler
Brutpflege
Mit Graphiken von Richard Langthaler
Edition Roesner 2023, 70 Seiten
ISBN 978-3-9505405-4-3
Hilde Langthaler (1939–2019) schrieb nie einen „großen Roman“, ihre Ausdrucksform war zeit ihres Lebens der kurze Text. In einem Interview mit Susanne Ayoub für das „Podium Porträt“ zu ihrem 80. Geburtstag, den sie allerdings nicht mehr erleben konnte, sagte sie dazu: „Meist ist es die kurze Form. Ich habe nicht genug Zeit für einen Roman. Ich will ehrlich sein, vielleicht fällt mir auch nichts Langes ein. Natürlich hat es auch mit der Familie und dem Beruf zu tun. Wenn man immer unterbrochen wird, wählt man die kurze Form. Das liegt mir.“
Nun hat fünf Jahre nach Hilde Langthalers Tod ihr Mann Richard zu ihrem 85. Geburtstag das zweite Buch mit Texten aus ihrem Nachlass, ergänzt durch seine Holzschnitte, herausgegeben. Nach „Kerbungen“ erschien jetzt der Band „Brutpflege“, für den er gemeinsam mit Tochter Margarita Texte ausgesucht hat, die der Auseinandersetzung Hilde Langthalers mit ihrer Mutter, ihrem eigenen Leben als Mutter und ihrem Leben in einer bestimmten Zerrissenheit zwischen Mutter-Sein, Beruf, großem sozialem und politischem Engagement und ihrem Schreiben gewidmet sind.
„Hilde Langthaler war eine Suchende, die Suche nach einem Sinn stiftenden Leben trieb sie um …“, schreibt Christa Nebenführ im Vorwort des Buchs. Und tatsächlich war Hilde Langthaler eine unglaublich umtriebige Frau, immer in Aktion, immer engagiert, was ein kurzer Blick in ihre Biografie deutlich zeigt.
Als Hilde Langthaler 1939 in Graz geboren wurde, war ihr Vater eben erst an Lungenentzündung gestorben. Ihre Mutter, eine Ärztin, musste Hilde und den etwas älteren Bruder allein großziehen. Aufgewachsen auf der Stolzalpe bei Murau, wo die Mutter arbeitete, später in Graz, immer schon sehr sportlich (sie war in ihrer Jugend Turmspringerin), studierte Hilde Langthaler schließlich ihrer Mutter folgend Medizin in Graz, Wien und Hamburg (Tropenmedizin). Obwohl sie schon in ihrer Jugend angefangen hatte zu schreiben, wollte sie einen Sozialberuf – wie ihre Mutter –, denn vom Schreiben leben zu können, das schien ihr undurchführbar zu sein. Ihre literarischen Vorbilder fand sie ebenfalls in der Familie: Ihre Urgroßmutter war Agnes Sapper, um 1900 eine bekannte Jugendbuchautorin, ihr Onkel Theodor Sapper war ein bedeutender Autor in der Nachkriegszeit.
Die junge Ärztin zog es früh ins Ausland, sie arbeitete nach dem Studium zuerst in Algerien am Rande der Wüste, später in Israel in einem Kibbuz. Gemeinsam mit ihrem Mann Richard lebte und arbeitete sie schließlich im Kongo und in Burkina Faso. Ein Leben mit zwei kleinen Kindern in Afrika wollte sie dann aber doch nicht auf Dauer führen, also kehrte die Familie 1975 zurück nach Österreich.
Neben ihrer Arbeit als Ärztin im Sozialbereich lehrte sie Gesundheitserziehung an der Universität in Graz, studierte einige Zeit an der Filmhochschule – und schrieb. Damit nicht genug, engagierte sie sich in der Friedensbewegung, der Umweltbewegung und der Frauenbewegung, wurde Mitbegründerin des Wiener Frauenverlags – heute Milena-Verlag – und des Ohrbuchverlags Wien. Sie war in verschiedenen Schriftstellervereinigungen aktiv, so etwa viele Jahr lang im Vorstand des Österreichischen Schriftsteller/innenverbandes.
Seit 1970 veröffentlichte Hilde Langthaler, ihr Werk umfasst zahlreiche Bücher mit ihren kurzen Texten und noch mehr Beiträge in Anthologien und Literaturzeitschriften sowie zwei Theaterstücke, die europaweit aufgeführt wurden. Ihr Film-Treatment nach dem Theaterstück „Nur keine Tochter“ wurde von Regisseurin Susanne Zanke unter dem Titel „Mit beiden Beinen fest in den Wolken“ für den ORF umgesetzt, die Hauptrollen spielten Bibiana Zeller und Helly Servi.
In dem Buch „Brutpflege“ sind nun sehr persönliche Texte zu lesen, auch Ausschnitte aus Tagebucheintragungen, die weit in die 50er-Jahre zurückreichen. So etwa „Meine Mutter – sie nimmt mir die Sonne“ aus dem Jahr 1959: „Einen Grund meines Unglücklichseins möchte ich festhalten. Meine Mutter. Ich werde einmal viel zu bereuen haben …“. Und 1990 schreibt sie: „Im Krieg mit der Mutter / seit meiner frühesten Kindheit hab ich das nicht gewagt / nicht einmal gewagt zu siegen gegen sie / weil sie das nicht aushält / – wo diese Angst herkommt, was da passieren konnte [könnte?]“
Das Älterwerden, der Tod und die Kinder, das sind die Themen, die „Brutpflege“ prägen. Und dennoch findet sich gegen Ende des Buches vor allem Versöhnliches:
„Liebe und Hass wohnen nahe beieinander,
den Ort wo die Gleichmut wohnt,
werde ich in diesem Leben nicht mehr erreichen.
Warum müssen wir uns verletzen,
sonst wäre es einfach zu schön.“
Und ebenfalls über ihre Kinder und an sie gerichtet: „Solange ich lebe, werde ich euch in meinen Träumen sehn.“
Schon zu Hilde Langthalers Lebzeiten hat ihr Mann Richard so manches ihrer Bücher mit seinen Holzschnitten illustriert. In dem jetzt vorliegenden Band „Brutpflege“ nehmen seine Holzschnitte und Fotos von Plastiken einen noch größeren Raum ein und illustrieren die kurzen Texte mit viel Gespür.
Judith Gruber-Rizy (2024)