Rezension
Angelika Stallhofer
Stille Kometen
Gedichte
edition ch 2022, 74 Seiten
ISBN 978-3-901015-76-2
Assoziationskapriolen
Angelika Stallhofer wurde 1983 in Villach geboren, studierte in Wien und Hamburg und ist Absolventin des Instituts für Narrative Kunst Niederösterreich. Sie schreibt Prosa und Lyrik, gewann einen Ö1-Literaturwettbewerb und erhielt mehrere Stipendien. Nach dem bei Kremayr & Scheriau erschienenen Roman Adrian oder: Die unzählbaren Dinge ist der Lyrikband Stille Kometen die zweite Buchpublikation. Die Autorin lebt heute in Wien.
Ein schmales, etwa A5-formatiges Bändchen, durchaus im für Gedichtbände üblichen Umfang: Das ist Stille Kometen, ein Buch, geschmackvoll gestaltet und mit Illustrationen von Andrea Zámbori versehen, das kurze, vor allem aber kurzzeilige Gedichte vereint, die in fünf Abschnitte organisiert sind. Diese tragen die folgenden Titel: Brennen, Wasserstellen, Surren, Schlingen, Schwebebahn.
Die Abschnittstitel bewirken etwas in den Leser*innen; diese vielleicht ungewöhnlichen Worte vermitteln eine ganz eigene Grundstimmung, die sozusagen das „Setting“ der folgenden Gedichte festzurrt. Gleich der Anfang, mit dem Titel Alles (S. 8), gibt deutlich das Ambiente wieder und verrät subtil, worauf es in diesen Texten vielfach ankommt:
Ich bin allein
aber die Steine sind da
zusammen
sind wir still
Die Stille, das Einhalten, die Einsamkeit, und doch eine Gemeinsamkeit (mit den Steinen). Die zweite Strophe vermittelt ein überraschendes Bild, bezieht die eigentlich leblosen Steine in die menschlich empfundene Stille mit ein.
Ungewöhnliche Sprachbilder, Assoziationen und Wortspiele sind die Essenz von Stallhofers Lyrik. Eindrucksvoll und schwermütig fand ich das vierzeilige Umlaufbahn (S. 10):
Der Tod ist
ein Trabant
und wir
sein Planet
Die äußere Struktur der Gedichte ist recht einheitlich: Ein Titel, ein paar interpunktionslose Zeilen, die allesamt sehr kurz sind und zumeist aus zwei Wörtern oder sogar nur aus einem einzigen bestehen. Jeder Gedichttext beginnt mit einem Großbuchstaben, doch dann läuft der Text wie ein einziger Satz durch. Wenig verwunderlich, dass fast jeder Vers in ein Enjambement mündet.
Ein witziges Wortspiel zeigt das Kürzestgedicht Was ich werden wollte (S. 23):
Groß und liniert
(nicht klein und kariert)
Die Texte frappieren durch ihren Wortwitz und laden doch zum Innehalten und Nachdenken ein. So manches, das auf den ersten Blick skurril wirkt, verbirgt einen vielschichtigen Kern, der nicht nur Assoziationsketten preisgibt, sondern, weiterführend, solche in Gang setzt, damit sie in den Köpfen der Lesenden sich weiterentwickeln. Mitunter kommt sogar eine kleine Lebensweisheit zum Vorschein, etwa in Paradoxon (S. 37):
Zum Luftholen
musst du
abtauchen
Angelika Stallhofer lotet Lebenswelten aus und macht dies sehr geschickt, weil unaufdringlich und nahezu beiläufig. Dass die Sprache hierbei von zentraler Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Nur so ist es möglich, poetische Aussagen dermaßen auf ihre Essenz zu reduzieren, dass in Einzelfällen nur ein oder zwei Zeilen übrig bleiben, die trotzdem, sofern man geneigt ist, genau hinzusehen, ein ganzes Universum bereithalten. Den Riesenkomplex des keineswegs zimperlichen Umgangs der Menschen miteinander verweben die paar Zeilen von Und vice versa (S. 60) zu einem scheinbar harmlosen, aber in Wirklichkeit gewaltigen Knäuel:
Einer hat
das Salz
der andere
die Wunde
Stille Kometen ist ein stimmungsvoller, wortgewandter Lyrikband, und es bleibt zu hoffen, dass die Autorin diesem noch weitere folgen lässt.
Klaus Ebner (2024)