Rezension
Susanne Ayoub
Rondo Veneziano
Kriminalroman.
Gmeiner Verlag GmbH, 88605 Meßkirch 2023, 280 Seiten
ISBN 978-3-8392-0405-4
Drei Wienerinnen, Adele, Chris und Biggi, die, vor Jahrzehnten Schulkolleginnen, unterschiedlicher nicht sein können, treffen einander zufällig in Venedig, wohin sie aus verschiedenen Gründen gereist sind. Adele, die ihre vermögende Nenntante Pauline Agassian auf deren dringenden Wunsch besuchen wollte, ist außer sich, da sie erfahren musste, diese sei bei einem häuslichen Unfall mit dem Rollstuhl ums Leben gekommen. Da allerdings niemand, nicht einmal deren aus den USA angereister Neffe, genauere Auskunft über die Umstände des Unfalls geben kann oder will, lässt sich Adele nicht davon abbringen, im Anschluss an die Urnenbeisetzung der Nenntante auf eigene Faust der Sache nachzugehen. Aus einem beschaulichen Venedig-Urlaub wird daher für ihre zwei Freundinnen auch nichts, denn sie sind sofort bereit, Adele bei ihren Nachforschungen behilflich zu sein. Die drei Damen, die sich gern als ‚alte Schachteln‘ bezeichnen, obzwar sie gerade einmal das Pensionsalter erreicht haben, gehen die Suche nach dem Unfallhergang beherzt an, geraten aber bald nicht nur in die wechselvolle Geschichte der armenischen Gemeinde in Venedig, sondern auch ins gefährliche Dickicht des internationalen Antiquitätenhandels, der sie nach Wien zurückführt. Dort ereignen sich merkwürdige Dinge, in welche ein zunächst ambitionsloser, später jedoch engagierter Kriminalbeamter mitzumischen beginnt: Ein vermeintlicher Selbstmörder wird aus dem Donaukanal gefischt, Adele fühlt sich nicht zu Unrecht verfolgt und mysteriöse Hinweise tauchen auf, die das weibliche Triumvirat erneut nach Venedig reisen lässt, um begonnene Nachforschungen wieder aufzunehmen. Dort werden sie allerdings wegen einer fehlenden Handyverbindung getrennt und kommen erst unter dramatischen und lebensgefährlichen Umständen in einem Kloster auf der Insel San Lazzaro wieder zusammen, wobei sich dort so ziemlich alles ins Gegenteil verkehrt, was den Leser/die Leserin bislang in Atem gehalten hat. Worum sich die mörderischen Aktivitäten tatsächlich gedreht haben, kommt (natürlich) erst am Schluss ans Tageslicht und soll hier nicht erwähnt werden, um den Spannungsbogen nicht reißen zu lassen.
In diesen Handlungsablauf großartig hineinverwoben ist die Lebensgeschichte von Adeles Nenntante, die als Kind jüdischer Eltern aus Wien vertrieben wurde, in Amerika heranwuchs und als Kunststudentin in Venedig den begüterten Sohn der armenischen Glasbläserdynastie Agassian geheiratet hat. Nach dessen frühem Tod gerät die Alleinerbin und im Alter bald gebrechliche Witwe in den Einflussbereich eines Wiener Kunsthändlers, worauf sich die Geschehnisse ineinander zu verzahnen beginnen. Die engste Freundin von Pauline Agassian ist nämlich Greti, Adeles Mutter, die – ein weiterer Handlungsstrang – mit ihrer Selbstsucht und Unzufriedenheit die Tochter Tag und Nacht nervt und zu beeinflussen sucht, sodass diese nicht selten bei ihrem ‚Ex‘ Hilfe sucht.
Der schon zu Beginn aufgetauchte Zweifel an einen Rollstuhlunfall von Frau Agassian macht die Erzählung zu einem Kriminalroman der besonderen Art. Es gibt keinen ermittelnden Kommissar, keine Spurensicherungstrupps, keine Verdächtigungen und Verhöre – kurzum, nichts, was einen Krimi oder gar einen Thriller für gewöhnlich ausmacht. Und dennoch: ‚Rondo Veneziano‘ hat einen von der ersten Seite an spannenden Plot, der auf Brutales, Reißerisches und Vulgäres dankenswerterweise verzichtet, dafür aber durch venezianisches Flair – Beschreibung von Örtlichkeiten, Gastronomie, Lebensstil – und die ungekünstelte Natürlichkeit der handelnden Damen (Männer kommen selten vor) aufgelockert wird. Mancher Leser wird schon bald den Wunsch verspürt haben, mit der unkomplizierten Biggi auf ein Eis zugehen, mit der geradlinigen Chris Spaghetti Carbonara zu genießen oder mit der noblen Adele einen Prosecco zu schlürfen. Einen echt italienischen natürlich, der nur ganz wenig moussieren darf, wie man nebenbei erfährt.
Die Liebe der Autorin zur Lagunenstadt liegt wie ein hauchdünner Schleier über allem und macht diesen Kriminalroman zu einem Lesevergnügen, zu dem man durchaus noch ein zweites Mal greifen kann, sollte man die finalen Ereignisse im Kloster von San Lazzaro nicht ganz durchschaut haben.
Als Drehbuch für einen spannenden Film wäre ‚Rondo Veneziano‘ allemal geeignet, sehr verehrte ‚Donna Ayoub‘ …
Michael Stradal (Juni 2023)