Rezension
C. H. Huber
Sagtest Du Liebe
Roman.
Tiroler Autorinnen und Autoren Koop. 2022, 228 Seiten
ISBN 978-3-900888-80-0
„Topografie des Schmerzes“
Verwunschen, verwunschen wie „verstreute Erinnerungen an eine ungewisse Zukunft“, sind die Figuren und deren Lebenslinien, die im Roman Sagtest Du Liebe thematisiert werden. Verwunschen, versunken in Gedanken, Worten und Werken, verloren gibt sich die klar und selbstbewusst gezeichnete Protagonstin in die maßlosen Hände einer „amour fou“. Aller Vernunft zum Trotz.
Die 1945 in Innsbruck geborene, bislang durch ihre Lyrik und Kurzgeschichten bekannte Tiroler Autorin C. H. Huber unternimmt in ihrem Romanerstling eine Tour d’Horizon. Nicht nur, dass sie örtlich zwischen dem pittoresken Wilheminenberg jenseits des Wiener Cottage-Viertels, bodenständigen steirischen Gasthäusern und den morbid-modrigen Kanälen von Venedig pendelt, unternimmt sie auch zeitlich wie mental so manchen Rösselsprung. Die Protagonistin Paula erlebt wechselhafte Beziehungsgeflechte, die zum einengenden Korsett oder zum fragilen Seidenfaden mutieren. Huber begleitet ihre Hauptfigur über einige Jahrzehnte hinweg, streift dabei ganz beiläufig Themen wie Lust, Leidenschaft, das Älterwerden, last but not least die Vergänglichkeit des Lebens per se.
„Alte Männer haben es unverschämt gut“, konstatiert Huber konsterniert, um gleichsam abfällig bis zynisch fortzufahren: „Ihr überständiges Fleisch findet leichter eine Abnehmerin, wenn sie nicht total ungustiös, ungut oder noch gestörter als Männer im Allgemeinen sind, von kritischer, momentan vielleicht überkritischer weiblicher Warte aus betrachtet.“
Hubers Roman ist nicht nur ein dem Hedonismus frönendes Werk, das zum Leben und Lieben, zu Sex und freier Beziehungswahl aufruft, sondern auch zeitkritische Konstante eines Unwohlseins in der Zeit, in der wir leben. „Verschiedene Sprachen sprechen Männer und Frauen, scheint mir oft; wenn wir älter sind, haben wir daher die Translation zwischen den Geschlechtern beinahe aufgegeben. Will aber immer noch nicht glauben, dass keine wirkliche Verständigung möglich und nur ein nützliches, bestenfalls für beide halbwegs befriedigendes Arrangement das magere Ergebnis der lebenslangen Bemühungen ist.“
Huber lässt ihre Protagonistin inklusive ihrer freundlich „schielenden Brüste“ bewusst in Fallen tappen. Venezia, la Serenissima ist wie üblich dabei die perfekte Kulisse dramatischer Showdowns. In diffusen Erinnerungsräumen lässt Huber die alternde Hauptfigur straucheln. Vergeblich wehrt sie sich gegen die Erinnerung an ihre leidenschaftliche Liebe, durchleidet und durchlebt Eifersucht, Lust, vermeintlich magische Tage und Nächte und mehr oder weniger gelungene Reisen. Sie lässt hoffen, dadurch könne dieses aufregende Kapitel ihres Lebens endlich abgeschlossen werden. Doch gegenseitige Faszination entlässt sie zwei Jahrzehnte lang trotz aller Kämpfe gegen ihre eigenen Dämonen und die ihres Partners inklusive der Trennungen nicht aus dem Bann.
Huber alias Paula reflektiert unkonventionell und frech gesellschaftliche Metamorphosen von den Freiheiten der späten 60er-Jahre bis ins junge 21. Jahrhundert, spricht über Sex im Allgemeinen und Speziellen. Abgeklärt, aber lebendig, räsoniert sie: „Oder sollte ich es mit einer Frau versuchen? Wäre das einfacher? Glaube nicht, das könnte mich auf Dauer befriedigen, obwohl ich zugeben muss, bei manchen meiner Geschlechtsgenossin auch schon mal an Sex gedacht zu haben.“ Die Handlung sei nicht allzu sehr verraten. Entwaffnend aber Hubers Conclusio: „Das einzig Übernatürliche, woran ich einigermaßen glaube, ist Gedankenübertragung.“
Gregor Auenhammer (2024)