Rezension
Anton Marku
Sammler des Regens
Gedichte
Plattform Verlag Perchtoldsdorf, Wien 2021, 112 Seiten
ISBN 978-3-9504954-8-5
Der Band vereint knapp 100 Gedichte, bei denen 20 Zeilen schon lang sind, und alle Zeilen auf allen Seiten bestehen ihrerseits nur aus wenigen Wörtern. Damit
wird deutlich, dass hier Gedichte buchstäblich als das Verdichtete begriffen werden. Entscheidend erscheint damit nicht das Beschriebene – obwohl es auch das in aller Kürze gibt –, sondern stets der Gedanke, der sich an ein einer äußeren Situation festmachen mag oder Erlebtes einzuordnen versucht oder etwas Gesehenes weiterspinnt.
Es sind in der Regel melancholische Imaginationen, die eine Welt beschreiben, in der vieles aus dem Lot geraten ist. Das Faktische berichtet fast ausnahmslos von Schwerem, das, so will es scheinen, von konkreten Situationen ausgehend psychisch in die Tiefe zieht. Das Gegenmittel besteht im Schreiben: indem Marku Worte findet, bindet er das (Auf-)Gefundene und kann es vor uns hinlegen. Dabei werden Krieg, Not, Tod und Entfremdung direkt angesprochen, doch stets im Versuch, Assoziatives einzubinden: Gerade das immer Knappe weist in eine Art übergeordneten Denkraum. Und in diesem sind sie dann untergebracht, die Verse, die nicht sterben (wie das längste Gedicht heißt, das sich auf Homers „Odyssee“ bezieht [98,99]). Diese wiederum erlauben eine erweiterte Perspektive: Hinter meinem Rücken / ein schwarzer Schmetterling / öffnete seine Arme / und maß meinen Schatten // Ich ging aus dem Körper heraus, / um selbst zu sehen, / wie ich von außen aussehe (Seite 32).
Auf dieser Basis entsteht keine Lyrik im engeren Sinn, die Prosa bleibt nahe, wie es ebenfalls die Sprache vermittelt. Sie kommt nicht poetisch daher, sie bleibt dem Alltäglichen verbunden. Diese Nähe mag mit der Herkunft Markus aus dem Kosovo in Verbindung stehen, indem hier das Albanische „nur“ Herkunft ist, weil nicht übersetzt, indem die Gedicht-Texte offenbar von vornherein in Deutsch formuliert werden. Dadurch gibt es „andere“ Wortstellungen (die an die romanische Abfolge von Subjekt, Objekt etc. erinnern), etwa im Motto Jetzt nur noch der Regen kann uns retten (Seite 65), dadurch kommen aber auch kleine Fehler ins Spiel, die das Verständnis über das inhaltlich Gemeinte hinaus leicht erschweren können Nichts anderes / verliert sich / wie mich in dir (aus „Rothaarige“, Seite 41). Nachdem zwei Lektorinnen, die zudem eine Einführung beisteuern, sich mit den Texten befassten, fragt man sich, inwieweit solche (letztlich sich summierenden) sprachlichen und grammatikalischen Ungenauigkeiten übersehen oder vielleicht sogar gezielt belassen wurden, um die Mischung aus Gewohntem und Fremdartigem sozusagen nonverbal zu illustrieren. Wie auch immer: es verbleibt im Sprachlichen der Eindruck einer Art von Schwebezustand, und es wird interessant sein, wie die nächsten Gedichte des sehr schreibfleißigen Marku sich präsentieren werden.
Martin Stankowski