Rezension
Etela Farkašová
Stillleben eines frühen Abends
Erzählungen
Strasshof: Pilum Literaturverlag 2020
ISBN 978-3-99090-014-7
Stillleben eines frühen Abends versammelt sechs Erzählungen. Gemeinsam ist ihnen, dass gewiss scheinende Identitäten plötzlich unsicher werden. Die Protagonistinnen – es sind durchwegs Frauen – entstammen einem intellektuellen Milieu, Reflexion gehörte immer zu ihrem Leben, was diese schleichenden Veränderungen umso bedrohlicher machen.
In der ersten und titelgebenden Erzählung wird eine Frau während einer Geburtstagsfeier, die jedes Jahr gleich abläuft, von Erinnerungen und Gefühlen heimgesucht, weil sie realisiert, dass dieses Fest mit diesen Personen so wohl zum letzten Mal stattfindet. Bald werden die ersten aus der Runde gestorben sein.
Olivia in Olivia, vielleicht auch jemand Anderer ist plötzlich damit konfrontiert, dass sie von wildfremden Menschen erkannt wird. Allerdings sprechen die sie mit ganz unterschiedlichen Namen an.
Eine Frau fährt In der Straßenbahn zum Verlag, bei dem sie Illustrationen für ein Kinderbuch abgeben soll. Auf einmal passiert ein Unfall. Ein sichtlich alter Mann hat sich beim Abbiegen verschätzt und die Straßenbahn gerammt. Alle Fahrgäste schimpfen darüber, dass ein Greis überhaupt noch Auto fährt. Die Frau erkennt, dass auch sie bald dieser Gruppe Menschen, die am besten nur noch bedürfnislos zu Hause bleiben sollten, angehören wird.
Eine Vernissage. Die Ehefrau des Kunstprofessors, der die Eröffnungsrede hält, bricht weinend zusammen. Nicht zum ersten Mal bei einem solchen Anlass. Früher ist sie selbst Malerin gewesen. Dann bekam sie ein Kind mit Behinderung.
Eine Frau reist zu ihrer Tochter, die in einem anderen Land lebst. Der Partner der Tochter hat sich aus dem Fenster gestürzt und liegt auf der Intensivstation. Die Frau ist mit dem festen Vorsatz gekommen, der Tochter zu helfen, ein neues Leben aufzubauen. Doch das erweist sich als nicht so leicht, weil alles, was sie über den Partner der Tochter zu wissen glaubt, sich als falsch herausstellt – Die Kehrseite des Leinens.
Eine Frau begleitet ihren Mann zu einem Symposium nach Santiago de Compostela. Während er Vorträge hält, hat sie Zeit, sich die Stadt anzuschauen. In dem Bus, mit dem sie an Abend ins außerhalb gelegene Hotel fährt, trifft sie immer die selbe alte Frau. Diese scheint sie zu kennen, redet in einer unverständlichen Sprache auf die Protagonistin ein, bis diese selbst an eine Verbindung glaubt. Diese Transformation in eine andere Kultur und Zeit wird erst durch die Abreise und den Aufbruch zu einem Spanienurlaub – auch eine Art El Camino – einer der Wege – beendet.
Etelka Farkasovas Erzählungen sind keine leichte Kost, sicher nicht dazu geeignet, vor dem Einschlafen ein paar Seiten zu lesen. Kleine sprachliche Unebenheiten sind wohl der Übersetzung geschuldet, tun dem Gesamteindruck aber keinen Abbruch. Große Leseempfehlung für alle, die bereit sind, sich mit der eigenen Identität und deren möglicher Veränderung auseinanderzusetzen.
Rezensentin: Sascha Wittmann