Rezension
Etela Farkašová
Stillleben eines frühen Abends
Erzählungen
Pilum Literatur Verlag, Strasshof 2020. Übersetzt aus dem Slowakischen von Univ.Doz. Dr. Elena Ehrgangová, 173 Seiten.
ISBN 978–3-99090-014-7
Die Philosophin und vielfach preisgekrönte Schriftstellerin Etela Farkasová ist in ihrer slowakischen Heimat als Lyrikerin und sehr beliebte, ja eine der meistgelesenen Prosaistinnen bekannt, die ihre Leser aus trivialen Welten in verborgene Bereiche menschlichen Seelenlebens führt. Aus ihrem umfangreichen mehr als dreißigbändigen Werk liegen mit „Stillleben eines frühen Abends" bereits fünf Bücher in deutscher Sprache vor; genug um eine Vielfalt subtiler Themen der großen Erzählerin kennen und schätzen zu lernen. Ein Werk, das die Außen- und Innenwelt menschlicher Individuen und ihres Miteinanderseins zeitgleich zu erhellen vermag, so wie es auch aus der Titelgeschichte hervorgeht; als „Traumbild einer verlorengegangenen Möglichkeit ein inneres Beben zu verständlichen Merkmalen umzuwandeln".
In den vorliegenden sechs Erzählungen artikuliert Etela Farkasová mit feinster Beobachtungsgabe und bewundernswertem Einfühlungsvermögen eine Vielzahl individueller Empfindungs-, Denk- und Gesprächsabläufe im Alltag. Oft sind es Unsicherheiten, Schwächen und stumme Verzweiflung. Resignation und manches, worüber ein Mensch nicht sprechen kann und lieber schweigt. Der Leser, hineingezogen in einen Sog erregender Gefühle, erlebt sich gleichsam selbst inmitten der irritierenden Unruhe der Personen, staunt über Etela Farkasovás erzählerische Möglichkeiten, die in jeder einzelnen Situation ein breites Spektrum menschlicher Gefühle erkennen lassen, egal ob verbal geäußert oder verschwiegen, in stummer nur aus Zeichen erkennbarer heftiger Emotion oder einfach still weggesteckt. Sorgsam Lesende werden diese lebensnahen Szenen mitfühlen, mitdenken und mitleiden um am Ende erstaunt zu schweigen.
Etela Farkasová steigert die Spannung während dieser vielfältigen Begegnungen auf der Straße, im Bus, vor dem Supermarkt, bei Vernissagen oder in den Familien manchmal durch den erzählerisch wirkungsvollen Trick sich als Ich-Figur zu zeigen, sich von komplizierten Verflochtenheiten, Gefühlen, Bindungen und verbaler Ratlosigkeit, denen Menschen oft ausgeliefert sind, nicht zu distanzieren. Das fasziniert und ermöglicht dem Leser eine besonders intensive Identifikation einfach deshalb, weil sich die Ich-Erzählerin kein Ausweichen, keinen Rückzug aus schwierigen Gesprächen erlaubt, so wie es uns allen vielleicht passieren könnte in ähnlichen Situationen. Deshalb dürfen wir Etela Farkasovás Erzählungen als philosophisch-psychologisch und gesellschaftlich sehr wertvolle Anregung sehen, Augen und Ohren den Mitmenschen gegenüber nie zu verschließen, sich selbst nicht auszuklammern aus der Situation eines Gegenübers. Die Bedingungen menschlichen Daseins tragen Aufgaben an jeden Einzelnen heran, die durch Teilnahmslosigkeit nicht zu bewältigen sind.
Besonders nuancenreich in ihrer ethischen, ästhetischen und emotionalen Komplexität erscheint mir die Titelgeschichte, in der eine Gastgeberin vieler unterschiedlicher Personen und Charaktere - als erzählendes Ich agierend - deren von außen her an sie, an ihr innerstes Ich herangetragenen Reden und Zwischentöne in schmerzvoller Anstrengung entgegen nimmt und ruhig beantwortet.
Das „Stillleben eines frühen Abends" überglänzt den Reigen der sechs Erzählungen und zieht den Leser nach aufmerksamer Lektüre unweigerlich zu dieser Titelerzählung zurück, hellhörig und hellsichtig geworden nach so vielen komplizierten Situationen und komplexen Begebenheiten; zum abendlichen Familientreffen etlicher weither gereister Personen an irgendeinem gemeinsam zu feiernden Tag. Eine bunte Gesellschaft in verklemmtem Gespräch, einmal scheu verlegen und beinah fremd, dann wieder enthemmt, ungeschickt und verletzend, so wie es bei derart verschiedenen persönlichen Erinnerungen und unausgesprochenen Emotionen lebensnäher nicht sein kann. Anstrengend und irritierend wirkt diese „Leere der Laute, die ihrer Bestimmung ausweichen". Umso mehr sind die Worte der Gastgeberin gefordert, die sich um sachlich klare Sprache bemüht. Plötzlich fällt ein gleißender Strahl der sinkenden Sonne durch das Fenster, erhellt eine abgelegene Zimmerecke und einen Obstkorb mit Früchten, umglänzt das pralle Rund von Äpfeln und Birnen, ein stilles Leben im Licht.
Die Philosophin Etela Farkasová fasst dieses Bild und die widersprüchliche Ganzheit des Raums in wenige Worte; die Schönheit wie alle die schmerzlich erfassten Konturen vor dem Auseinandergehen und den „absterbenden Augenblick schon gänzlich überflüssiger Anstöße." Die „zerfließen im Klingen von Glas und ziehen sich verlöschend zurück, verkörpern in sich die Mehrdeutigkeit unserer Blicke...".
Rezensentin: Rosemarie Schulak