Rezension
Christl Greller
TAGSÄTZE zur Nicht- oder Bewältigung. Poetische Notate
edition lex liszt 2025, 160 Seiten
ISBN 978-3-99016-302-3
Ein Notat pro Tag hat sich Christl Greller vorgenommen, beginnend mit dem 18. Dezember. Aus der Idee eines Jahresbandes wurde der Band einiger Jahre (in dem jedes Datum aber nur einmal vorkommt). Um die Vielgestalt nicht nur der Themen, sondern auch der Jahre aufzuzeigen, sind die Notate in fünf Schrifttypen verfasst, was die Stimme der Autorin mitunter wirken lässt wie einen Chor (der Rezensent hätte es allerdings gut gefunden, wenn keine Schreibschriftart dabei gewesen wäre).
Thematisch kann man sagen: ein weites Feld. Alltagsgeschichten, Erlesenes, Genüssliches, Gewahrgewordenes, Be(d)rückendes, Bestürztes, Reflektiertes. Die Tiere und das Alter sind wichtige Motive und auch die Dankbarkeit, oft als carpe diem, steht hoch im Kurs. Greller gibt dem Unverhofften viel Raum, aber auch der ehrlichen Bestandsaufnahme. Schlaglichter sind ihre Texte nicht, sondern eher Laternen; Beobachtungen schlagen Funken und schon leuchten sie eine Weile, schon kann man mit ihnen auch das ein oder andere ausleuchten.
Was neben allem Berührenden und Wahrhaftigen an dem Band positiv ausfällt, ist die Abwesenheit der Lesenden. Greller spricht sie selten direkt an. Sich selbst nimmt sie ins Gebet (oder ins Gedicht), aber die Verfänglichkeit ihrer Texte ist genuin, sie wird einem nicht aufgedrängt. Okay, ein-, zweimal kann es sich die Autorin es nicht verkneifen, ihre Beobachtung darzureichen wie eine Speise – aber in der Regel bleibt es den Lesenden überlassen, was sie mit ihrer Laterne machen: ob sie sich selbst mit ihr heimleuchten oder ob sie damit etwas erforschen. Ob sie das Licht nah bei sich behalten und sich daran wärmen oder ob sie es weithin schwenken, um möglichst viel zu sehen.
„Tagsätze“ ist ein Band mit manchmal meditativer, manchmal possierlicher, dann wieder nachdrücklicher Gangart. Das Existenzielle und das Lässliche blühen hier unbeeindruckt nebeneinander. Das macht das Buch gleichsam kurzweilig und substanziell. Eine nicht allzu häufige, aber immer gern genommene Kombination.
Timo Brandt (2025)