Rezension
Constantin Schwab
Tod des Verführers
Erzählungen
Sisyphus Verlag
ISBN 978-3-903125-42-1
Warum sollte man Schwab lesen? Einer der Gründe ist, dass in seinen Erzählungen keine Klischees zu finden sind. Und falls man doch über eines stolpert, jagt es der Autor im nächsten Moment in die Luft. Die Rollen, die Mann und Frau voreinander spielen – und nun gerade die der Frau – stellt Schwab auf erfrischende Weise auf den Kopf, aber ohne dem Zeitgeist dabei Zugeständnisse zu machen. Denn dieser Autor ist kritisch, und er biedert sich nicht bei seinem Publikum an, was freilich bedeutet, dass die Apostel politischer Korrektheit sich an seinen Geschichten genauso stoßen werden wie diejenigen, die geistig noch im Gestern verhaftet sind. Das ist Schwabs Stärke, und es gehört Mut dazu, auf leicht gewonnene Beliebtheit zu pfeifen. D i e s e Schriftsteller sind es immer gewesen, welche die Literatur vorangebracht haben.
Schwab ist zeitgenössische Literatur – aber mit einer durch und durch individuellen Stimme. Dabei arbeitet er nicht mit dem Schlaghammer, sondern subtil. Etwa in Porträt der beiden Söhne: Ein schwieriges Familienverhältnis in der höheren Gesellschaft wird durch den kaum sichtbaren Faden auf dem Bild eines alten niederländischen Meisters, durch den ein Knabe seinen Vogel hält, widerspiegelt. Oder, um bei Fäden zu bleiben, in Von der Abhängigkeit des Netzes, wo eine Spinnenkolonie nach und nach, kaum bemerkbar zuerst, eine Stadt derartig mit ihren Netzen überzieht, dass der Himmel eines Tages nicht mehr zu sehen ist.
Schwabs Geschichten sind nicht provinziell, wie es Stipendien und Preise heute durch einen starken Regionalbezug forcieren. Wir haben in dieser Sammlung sehr wohl eine Dorfgeschichte aus Kärnten, des Autors Heimat, die in einer eher zurückhaltenden, aber dadurch überlegenen, rein verbalen Rache gipfelt. Sonst spielt die Handlung aber auf einer einsamen Insel, auf der ein zunächst zwangloses Kinderspiel in Verzweiflung durch Verlassenheit kulminiert. Oder in Belgien, wo der Enkelin durch das Nachlassen der Kochkünste ihrer Großmutter der altersbedingte Niedergang ihrer Beziehung deutlich wird – und das Ende ihrer Kindheit.
Man weiß beim Lesen dieses Erzählbandes nicht immer, ob aus weiblicher oder männlicher Perspektive erzählt wird. Bei Was nützen die Gezeiten gelingt es Schwab, die Tagebucheinträge einer Frau überzeugend wiederzugeben – einer Studentin, die nachts einfach nicht mehr schlafen kann. In mehr als einer Geschichte – Uteria ebenso wie Das Ende einer Mission – nützt die Frau ihre Macht aus, um einen Mann zu brechen. In der titelgebenden Erzählung wird ein mysteriöser weiblicher Charakter, Marie, verständnisvoll geschildert, die aber ihren fiktionalen Autor, der für die Fertigstellung seines Romans auf Begegnungen mit ihr angewiesen ist, kontrolliert – und nicht andersherum.
Bei der Nachdichtung des Sisyphus-Mythos, in welcher der Protagonist es wider Erwarten schafft, den Stein auf den Gipfel zu hieven – mit unangenehmen Konsequenzen – beweist Schwab seinen Humor; ebenso wie in der Schilderung der ans Paranoide grenzenden Assoziationen, die ein Flugzeugpassagier in Bezug auf seine Mitreisenden entwickelt.
Schwab beherrscht unerwartete Wendungen bis zum Schluss, denn jedes seiner Narrative verfügt über eine Pointe. Wenn damit aber die Erzählstruktur künstlerisch aufgelöst ist, beginnt erst der Verarbeitungsprozess beim Leser. Man hat Schwabs Geschichten nie vollständig erfasst, wenn man sie zum ersten Mal gelesen hat. Es stecken immer noch Bedeutungsebenen dahinter. Man muss seine Erzählungen also mehrmals lesen. Und zum Glück will man das ja auch.
Rezensent: Max Haberich