Rezension
Karin Gayer
Übergangsland
Lyrik.
edition sonne und mond 2023, 96 Seiten
ISBN 978-3-903492-05-9
Nichts ist gewiss in Karin Gayers Übergangsland, und das ist gut. Ein Land im Rücken, ein anderes vor Augen, passieren Leser*innen die Schwelle dieses Bandes. Dahinter wartet eine große Weite: hier herrschen weder Zwang und Enge noch Hast und Getriebenheit. Und doch ist hier jedes Wort präsent, öffnet Türen, führt in einen neuen Raum. Karin Gayer hält die Worte fest und lässt sie trotzdem schweben: jedes Gedicht ein Drachen, der am Himmel tanzt, ein Festhalten ohne Gewalt.
Die Themen selbst bleiben am Boden, sie haben Gewicht. Da gibt es eine „Liste des Verschwindens“ (S. 33), Kälte und Labyrinthe, „Kapitale Träume“ (S. 57), „und immer das Blaulicht / der Einsatzwägen / das Sirenengeheul“ (S. 66), einen gefährlichen Zauberer, und einmal gar ein Krankenhaus, das den Bruder verschluckt; Trennendes – „so viele Fische haben wir einst gesammelt / jetzt geh ich allein“ (S. 32) und Ängste – „Alles darf passieren, nur reden darfst du nie“ –, die doch Erleichterung erfahren: „gänzlich unerwartet: eine Insel, üppig grün“. (S. 14) Auch das Schöne darf sich zeigen („Motel Träume“, S. 63) und die Sehnsuchtsländer Australien und Kroatien kommen zur Sprache. „Freischwimmen“ (S. 7) lautet von Beginn an die Devise. „Lass sie am Wegrand stehen / die Vampire“ (S. 48), „purpurne Gespräche will ich führen / keine Zeit mehr verschwenden“ (S. 44).
Das titelgebende Gedicht „Übergangsland“ enthält die Essenz des Bandes: „geschliffen, das will ich nicht sein / und schon gar nicht roh / vielleicht was dazwischen“ (S. 42) Dieser Übergang, dieses Dazwischen, bedeutet Unsicherheit – und zugleich Freiheit. Und dennoch scheint durch all die verhandelten Themen letztlich ein Vertrauen in die eigene Kraft und das Spiel des Lebens. So heißt es im Gedicht „Perspektiven“: „Es gibt etwas / gegen die Angst / so etwas wie / den gesprengten Kokon / den Glauben an sich selbst / das Finden der eignen Stimme // es gibt etwas / für das Morgen / so etwas wie / die aufrechte Haltung / den festen Entschluss / das Papier und den Stift.“ (S. 40)
Angelika Stallhofer (2024)