Rezension
C. H. Huber
unkraut.undsoweiter
Gedichte.
Tiroler Autorinnen u. Autoren Koop. 2023, 112 Seiten
ISBN 112 Seiten
Wildwuchs eines Augenblicks
Poetische Kleinode des Autofiktionalen sind sie, die Gedichte von C. H. Huber in unkraut.undsoweiter. Ein weibliches lyrisches Ich, das lebenserfahren ist, hält Momente fest, gegenwärtige, vergangene. Die Autorin lässt dieses lyrische Ich mit genauem Blick poetisieren, dieser ist einmal zärtlich-einfühlsam, dann wieder schonungslos-lakonisch, manchmal gesellschaftskritisch. Das Verdichten erfolgt entlang der weiblichen Biografie und der Welt rund um diese. In einer zugänglichen Sprache, erfrischend, mitunter mit Augenzwinkern, die Autorin kommt ohne Pathos und ohne Nostalgie aus.
Die Motive von Hubers Lyrik stehen dabei in der Tradition des poetischen Tagebuchs: die Liebe, die Natur, das Reisen, oder gesellschaftliche Ereignisse wie etwa die Corona-Pandemie werden thematisiert.
Gerne macht es die Autorin so, dass sie, als wäre es beim Blättern durch ein Herbarium, eine Pflanze entdeckt, um bei ihrer Betrachtung schließlich zu den menschlichen Zuständen zu gelangen. So etwa in „frühlingskraut“:
vermessener giersch der gefühle
unterwanderst das weite land zur
unzeit mit vergessen geglaubtem
was soll das jetzt wird gefragt
hat man doch all das in fülle
gehabt was zittern zagen
glücklich machte
Ein von der Autorin genutztes poetisches Stilmittel ist der Animismus. Huber haucht in ihrer Lyrik der Pflanzenwelt gekonnt Leben ein – im spirituellen, aber vor allem im psychologischen Sinn. Es gelingt ihr immer wieder, zwischenmenschliche Beziehungen und Erinnerungen präzise auf die Flora zu übertragen, diese in ihr zu spiegeln. „Unkraut ist leben“, lässt sich die Widmung der Autorin in dem mir vorliegenden Buchexemplar dazu trefflich zitieren. So heißt es weiter in „unkräuter“:
manches ist giftig
manches treibt
bunte blüten
manches heilt
Aufgeteilt sind die Gedichte von unkraut.undsoweiter in die sechs Kapitel „unkräuter“, „ferien.undsoweiter“, „undsoweiter“, „bilder“, „amor vincit omnia?“, und „corona“.
Hervorzuheben ist neben „unkraut.undsoweiter“ sicherlich auch das Reise-Kapitel, „ferien.undsoweiter“. Die Autorin hegt eine Vorliebe für die griechischen Inseln, jedoch nicht in der Hauptsaison, wenn der Massentourismus einsetzt:
zu vergessen für dich
in der hochsaison diese insel
massen haben sie entdeckt
fixe sonnenschirme und liegen
Für das lyrische Ich findet sich aber schließlich doch ein ruhiger Platz („lentas-dytiko-kreta XLVIII“). Und das poetische Erschließen der Elemente Wasser und Luft kann einsetzen:
noch ist das meer gut erzogen
kaut leise mit geschlossenem
mund seine steine
ein sanftes fächeln
der wind
Die Corona-Pandemie ist mehr oder weniger vorbei, zumindest offiziell. Die Erfahrungen der Lockdown-Zeit konnten mittlerweile etwas in die Ferne rücken. Die Ausgeh-Verbote, die wir zu bewältigen hatten, die emotionalen Zustände der Isolation sind langsam erfolgreich vergessen. Umso intensiver sind die Gedichte aus dem Kapitel „corona“ jetzt wieder zu lesen:
jetzt jedoch heißts daheim
bleiben um länger zu leben
wahr nimmst nur deine übliche
friedhofspflicht und fast verlockend
erscheint ein probeliegen siehst du
dort bäume deren äste unter der rosa
blütenlast beinahe brechen
Und wie man lesen kann, werden wir immer wieder mit Vanitas konfrontiert, dem barocken Motiv, dass alles Irdische vergänglich ist. Der Verfall des Stofflichen, der Tod, die Autorin nimmt ihn mit reifer Gelassenheit zur Kenntnis, setzt ihm immer wieder mit poetischem Augenzwinkern ein Denkmal. Auch der eigene Körper bleibt davon nicht verschont, wenn es im Reise-Gedicht „lentas-dytiko-kreta XLVII“ heißt:
clentianische sonne wird sie dich nächstes jahr
wiedersehen mit cellulitisschenkelnundarmen
und plissierter haut rätst ihr nicht dran
zu denken das jetzt mit dir zu genießen
wer weiß zum letzten mal
Und nicht zuletzt ist die Referenz auf das Schreiben selbst ein Topos in Hubers Gedichten, Womöglich sind die Dichter der Beat-Generation literarische Vorlieben, die C.H. Huber in ihre poetischen Tagebucheinträge einwebt, etwa in „lefkada IV“:
nur die schwalben verrichten wie
eh und je ihr geschäft piepsen
dir fröhlich den tag ein
nilpferde von burroughs und
kerouac kochen in ihren becken
Was die formale Struktur anbelangt, sind die Gedichte in freien Versen und Rhythmen verfasst. Der Gedichtkorpus begegnet uns manchmal als ein Fließtext, dann ist er wieder in Scheinstrophen geteilt.
In einigen wenigen Gedichten wünscht man sich etwas mehr Substanz, etwa in „retourkutsche“, wenn es heißt:
geändert zeiten
gealtert zellen
geschwunden kompetenzen
Insgesamt sind die Gedichte in unkraut.undsoweiter Kleinode des Autofiktionalen, sie halten, jedes für sich, den Wildwuchs eines Augenblicks aus dem Leben einer Frau, einer Dichterin fest. Für jede Lebenssituation, für jede*n Leser*in findet sich ein Gedicht und bringt ein kleines Erkenntnisglück.
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